Die Kolonie
Wetterdienstes,
Zeuge für das ad-hoc-Komitee der Weltregierung für
Katastrophenschutz,
22. Juni 2008.
17. Kapitel
Hamud stand auf dem Dach und blickte über die Stadt hinweg.
Basra war einst ein vielbesuchter Hafen gewesen, voller Leben
seinerzeit, als die Ölexporte dem Irak so viel Gold
einbrachten.
Doch jetzt wurde der Hafen kaum noch frequentiert. Die meisten
Piers verrotteten in der Sommersonne. Die Bauwerke der alten
Ölraffinerie, um die sich niemand mehr kümmerte, hoben sich
wie schwärzliche Ruinen vom Himmel ab. Nur zwei alte Frachter,
vom Rost zerfressen, lagen im Hafen und wurden mit Datteln und Wolle
beladen. Die gleiche Fracht, die Sindbad mit auf die Reise nahm, dachte Hamud bitter.
Das Öl war versiegt, und versiegt war auch der Goldstrom, den
es eingebracht hatte. Wo war das Gold hin verschwunden? In die
Taschen von Leuten wie Scheich Al-Hazimi und in die Hände von
Fremden, die jetzt zurückkamen, um Touristenzentralen zu bauen,
damit die Reichen aus dem Westen anreisen und die verarmten,
rückständigen Araber belächeln konnten.
Hamud ballte die Fäuste. Für sie sind wir alle
Araber. Kurden, Pakistani, Libanesen, Saudis, Haschemiten –
alles Araber. Kameltreiber und Teppichhändler. So sehen sie
uns.
Nichts rührte sich an diesem schläfrigen,
sonnendurchglühten Nachmittag. Doch Hamud schaute zum hellen
Himmel hinauf und wartete. An seiner Seite ging Bahjat nervös
und ungeduldig auf und ab.
Es war einfach gewesen, sie aus dem Haus ihres Vaters zu
schmuggeln und dann ins eigene Quartier zurückzukehren, so
daß der Verdacht auf andere fiel. Al-Hazimi stellte ganz Bagdad
auf den Kopf, um sie zu suchen, doch Hamud hatte das Mädchen
noch vor Tagesanbruch jenseits der iranischen Grenze in Schiras in
Sicherheit gebracht. Dann hatte der Scheich Hamud zu sich kommen
lassen und ihn gebeten – gebeten, nicht etwa befohlen
–, seine Beziehungen zur RUV spielen zu lassen, um sie zu
finden. Es hatte den Anschein, als wüßte er, daß sie
Scheherazade war, obwohl er es nicht offen aussprach.
»Da ist es.« Der Pilot tippte auf Dennys Schulter und
deutete nach unten.
Denny schaute hinunter und erblickte die Ruinen, die in der
Wüste verstreut lagen. »Babylon?« rief er laut, das
Geräusch der wirbelnden Rotoren übertönend.
»Babylon!« rief der Pilot mit breitem Lächeln
zurück und zeigte die Zähne.
»Können Sie weiter runter?«
»Wir haben nicht genug Sprit, wenn Sie bis Basra fliegen
wollen.«
Trotzdem drückte er die Maschine nach unten, so daß
Denny die brüchigen Säulen und die verwitterten Steine
eines der sieben Weltwunder aus der Nähe betrachten konnte. Da
unten lag Babylon, halb im Sand vergraben wie die bleichen Gebeine
eines prähistorischen Monsters.
Ich werde euch wieder beleben, versprach Denny den toten
Steinen. Aus der ganzen Welt werden sie hierher kommen, um euch
wieder in Ehrfurcht zu bewundern.
Im Geiste machte er bereits Pläne. Dort würde der
Tempel stehen, und da die Kolonnaden mit dem Platz und den
hängenden Gärten am anderen Ende…
Der Hubschrauber stieg auf wie ein Blatt, das von einem
Windstoß getragen wird, drehte von den Ruinen ab und nahm Kurs
nach Süden. Denny beugte sich in seinem Sicherheitsgurt vor, um
noch einen letzten Blick auf Babylon zu werfen, dann lehnte er sich
in seinem Sitz zurück.
Bahjat hatte ihn angerufen, atemlos und dringend. Sie gab ihm ganz
genaue Anweisungen für sein Verhalten. Miete einen Wagen und
fahre in Richtung Norden nach Mosul. Meide den Flugplatz von Bagdad,
er wird überwacht. Suche in Mosul einen Professor namens As-Said
in der Universität auf. Er wird dir weiterhelfen. Dann hatte sie
eingehängt, bevor er überhaupt etwas erwidern konnte.
Der Professor entpuppte sich als ein junger, bärtiger,
glutäugiger Mathematiker, der Denny mit äußerster
Zurückhaltung, wenn nicht mit Ablehnung begegnete. Denny hatte
gehört, die Universität sei ein Zentrum des
RUV-Radikalismus und meinte, daß As-Said sehr wohl einer dieser
Revolutionäre sein könnte. Warum sollte Bahjat etwas mit
ihm zu tun haben?
RUV oder nicht, der Professor fuhr David zu einem privaten
Hubschrauberlandeplatz in den Bergen und verstaute ihn an Bord dieser
rotweißen Maschine, die mit ihm jetzt südwärts nach
Basra flog zu Bahjat.
Kurz dachte er an seine Arbeiten am Kalifenpalast in Bagdad. In
seiner Abwesenheit würden die Bauarbeiten stagnieren. Na und? Bahjat war ihm wichtiger, wichtiger als alles. Die Arbeit
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