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Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Titel: Die Kometenjäger: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Deckert
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mexikanischer Revolutionsscharmützel erinnerten. Nun aalten sich ihre Geschäftsgebäude untätig in der Hitze, die Vergangenheit wirkte vom Müll des späten 20. Jahrhunderts überlagert, ausgetrocknet, stillgelegt. Mitten durch die Stadt führte ein schnurgerader, drei Meter hoher Grenzzaun, der weder Mensch noch Tier passieren ließ und die Mittelstandsfestung mit ihren Callcentern von der wuchernden Siedlung Agua Prieta auf der anderen Seite trennte.
    Agua Prieta, erfuhren wir, war ein Zentrum des Drogenschmuggels und die Hauptstadt der »Polleros«, der Schlepper. Früher hatten unter der Stadt geheime Stollen existiert, die auf die US-Seite führten, sie begannen einfach in einem Lagerhaus und endeten in einem anderen – einige der Stollen waren wohl immer noch in Betrieb. Die illegalen Einwanderer aus dem Süden wurden im Volksmund »Pollos« genannt, »Hühnchen«. In der Sprache der Grenzpolizei hießen sie UDAs (»Undocumented Aliens«). Meistens schlugen sie sich in kleinen Gruppen nach Norden durch, entlang der High Lonesome Road, und zu Fuß durch die Canyons, wo manchmal ganze Trecks von ihnen verdursteten. Der Grenzzaun war zwar längst lückenlos, aber noch immer gab es Bürgerwehren, die patrouillierten, um die Illegalen abzufangen. Livingston hatte sich an diesen kriegerischen und frömmelnd patriotischen Aktionen niemals beteiligt. Er gehörte nur zu einer Freiwilligentruppe, die den Müll entfernte, den die Wandertrecks entlang des Highway 80 hinterließen. Tonnenweise Plastikwasserflaschen der Marke »Osmopura«.
    An den Nachmittagen waren Tom und ich oft gemeinsam unterwegs. Livingston versorgte uns mit Karten und zeichnete uns Wege auf, und wir erkundeten das neue Land, das Flusstal mit seiner salzig schmeckenden, feuchten Luft, in der sich alle vorstellbaren Schattierungen von Grün drängten, und die großartigen Canyons, in deren Aufwinden sich Habichte umkreisten. Wir liehen uns sogar Ferngläser und machten uns auf die Suche nach dem eleganten Trogon. Er nistete angeblich in abgestorbenen Platanen, den großen amerikanischen »Sycamore Trees«, von denen es rund um den Canyon viele gab. Ausgerüstet mit einem Fahndungsbild des königlichen Vogels – typisch war der blutrote Bauch und das smaragdgrün glänzende Gefieder – durchstreiften wir die steinigen Bachbetten mit ihren Maulbeer- und Mesquite-Bäumen, aber alles, was wir sahen, waren Spatzen und, mit etwas gutem Willen, ein mexikanischer Eichelhäher. Eine Klapperschlange sichteten wir auch, aber sie wollte nichts von uns und zog sich mit einem distanzierten Klappern ins nächste Gebüsch zurück.
    Der Name der Berge, Chiricahua Mountains, stammte, wie man uns hier und da erzählte, von einem Indianervolk, das sich in den Apachenkriegen durch besondere Zähigkeit hervorgetan hatte. Und wie ein seltsames Echo dieser früheren Kämpfe um das Land wirkte die jüngste Entwicklung in der Gegend. Auf den Wegen rund um Portal stießen Tom und ich immer wieder auf Schilder von Immobilienmaklern aus Tucson. Noch war die Landnahme kaum der Rede wert, nur ein Haus hier, ein umzäuntes Anwesen da. Aber auf der anderen Seite der Berge, sagte Livingston, bauten sie schon Feriensiedlungen für Rentner.

KAPITEL 8

    A bends, wenn ich mit Livingston in seiner Stube saß und in meinem Skizzenbuch blätterte, während mein Gastgeber Radio KUAZ-FM aus Tucson hörte oder eine Fernsehserie verfolgte, stellte ich mir immer die gleiche Frage: Warum verbrachte er die Zeit mit mir, anstatt Tom zu begleiten? Was war mit Livingston geschehen? Er schien ja nicht nur die Jagd aufgegeben zu haben. Ich sah ihn seine Teleskope überhaupt nie benutzen. Hatte er genug von den Sternen? Hatten sie ihn enttäuscht?
    Manchmal warf ich verstohlene Seitenblicke hin zu den Gesichtern auf seiner Anrichte. Livingstons Frau, die ihm so plötzlich genommen worden war, durch eine Entzündung des Herzmuskels. Seine Tochter, die ganz in der Nähe lebte, die wir aber in ganzen zehn Tagen noch nicht zu Gesicht bekommen hatten. Waren dort die Antworten zu finden?
    Vor gar nicht allzu langer Zeit, auf deutschen Kuhwiesen und in Toms Observatorium, hatte ich ja selbst einen Eindruck davon bekommen, wie schwierig es war, sich den Sternen auszusetzen, wie einsam man unter diesen fernen Lichtern werden konnte. Die Sterne waren keine Gesellschaft. Sie bewohnten ein abgehobenes Reich über unseren Köpfen, aus dem sie mitleidlos auf uns herabblickten wie Götter archaischer Religionen.

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