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Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Titel: Die Kometenjäger: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Deckert
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Und wie die Götter antworteten sie niemals, egal was man ihnen anvertraute. Vielleicht, dachte ich, hatten die Menschen in den Bilderrahmen Livingston einst sein einsames Handwerk erst ermöglicht. Jetzt waren sie nicht mehr da, und die selbstgewählte Einsamkeit des Kometenjägers war einer anderen Form von Einsamkeit gewichen, oder er hatte verlernt, die beiden voneinander zu unterscheiden.
    Tom konnte es nicht verstehen. Er gehörte ja noch zu den Gläubigen. Oft kehrte er mitten in der Nacht zum Haus zurück, müde und flüchtig wie ein Passagier auf der Durchreise, und berichtete stolz von seinen Eroberungen. Der Jet in der Galaxie M 87! Tom hatte ihn zum ersten Mal mit eigenen Augen gesehen. Er hatte ihn übrigens ganz sicher gesehen!
    Livingston lächelte höflich. Vielleicht wusste er, wovon die Rede war, ich nahm es an. Dann flogen noch mehr kosmische Namen und Nummern durch den Raum, und ich zog den Kopf ein, bis die Luft sich wieder beruhigt hatte. Ich fand Tom rücksichtslos. Er war wie eine hängen gebliebene Schallplatte. Er behandelte Livingston wie einen Mentor, ob dieser nun wollte oder nicht. Ich fragte mich, was Livingston über ihn dachte. War Tom mehr für ihn als eine Reminiszenz, eine jüngere Ausgabe seiner selbst, die ihn verfolgte?
    Manchmal setzte ich mich selbst nach draußen, auf die Terrasse hinter Livingstons Haus. Nachts schienen Düfte von den grüneren Regionen des Canyons herüberzustreichen, Lavendel und Kreosotbusch. Das Rot der Lichterketten und das dunkle Blau des Himmels bildeten eine schöne Abstraktion. Die Wasserstelle lag still vor mir, und manchmal glaubte ich, in der Ferne die Augen des Luchses zu erkennen, der mich aus dem Dunkel beobachtete, aber das kann nur Einbildung gewesen sein. Er jagte in der Dämmerung, hatte mir Livingston erzählt, frühmorgens und spätabends. Tom und die Luchse, sie hatten den gleichen Rhythmus. Allein, wie ich mit diesen schönen Nächten war, hätte ich mir gewünscht, auch auf irgendeine Jagd gehen zu können.
    Am Abend des zehnten oder elften Tages sah mir Livingston an seinem Küchentisch über die Schulter. Auf der aufgeschlagenen Seite meines Skizzenbuchs war ein Porträt von Claire, an dem ich schon seit Stunden arbeitete. Ich hatte versucht, sie aus dem Gedächtnis zu zeichnen, das Ergebnis immer wieder ausradiert und neu angefangen, bis sich aus dem Nebel von verwischten Linien und Graphitschlieren ein Gesicht, ähnlich dem ihren herauskristallisierte.
    »Sie sollten mehr daraus machen«, sagte er.
    »Wieso, gefällt es Ihnen?«
    »Ja. Aber Sie brauchen ein größeres Format«, erklärte er. »Die Ausrüstung meiner Frau steht noch oben. Vielleicht ist noch was davon zu gebrauchen.«
    Auf sein Geheiß folgte ich ihm über die Treppe auf den Dachboden, vorbei an dem Matratzenlager und den unordentlichen Kleiderhäufen, die Tom dort hinterlassen hatte. Eine Ecke des Dachbodens war mit einem Leintuch abgehängt, ich hatte bisher nie dahinter geblickt. Nun zog Livingston den Vorhang weg, und eine Staffelei kam zum Vorschein. Auf ihr lehnte ein unfertiges Bild, ein Landschaftsfragment seiner Frau. Gläser mit Pinseln, Spachteln, Rakeln, Zahnbürsten, Malmessern und mehrere Kisten mit Farbdosen und Tuben standen in ordentlichen Reihen am Boden.
    »Ich konnte die Sachen nie wegwerfen«, sagte er. »Aber Sie können sich gern bedienen.«
    »Ich kann mit Öl und Leinwand nicht viel anfangen«, sagte ich.
    »Schade. Aber Sie wissen ja, wo die Sachen stehen, wenn Sie Ihre Meinung ändern.«
    Abends in Livingstons Wohnzimmer grenzte die Ruhe an Langeweile. Mein Skizzenblock war gefüllt bis auf die letzte Seite. Das National Public Radio spielte keine Musik für mich. Selbst der Beagle beachtete mich nicht mehr. »Er interessiert sich nur für Fremde«, sagte mir sein Herrchen. Ich hätte ein Buch aus dem Regal der großen Bibliothek ziehen können, aber ich wusste nicht, wo anfangen. Mir fiel auf, dass ich im Leben noch nie so viel Zeit gehabt hatte. Gab es noch irgendeinen Funken in meinem nutzlosen Kopf, der hinauswollte? Den Anschein einer Idee, und wenn sie auch so matt war wie der Stern im Ringnebel?
    Ich betrachtete die Bilder von Livingstons Frau jetzt genauer. Sie hingen an fast jeder Wand im Haus. Amerikanische Landschaften in Öl, die Kunstkritiker überladen und kitschig genannt hätten, obwohl sie die Eigenart und Wirkung dieser Landschaften völlig richtig wiedergaben. Kritiker konnten das nicht wissen. Vielleicht hätte man gar

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