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Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Titel: Die Kometenjäger: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Deckert
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Einfachheit halber. Eigentlich hatte ich etwas anderes sagen wollen, aber ich wusste nicht, wie ich es ausdrücken sollte. So umwerfend war seine Schönheit ja gar nicht gewesen. Das Entscheidende war eher, ihn überhaupt zu sehen. Aber wieso unternahm man so große Mühen, etwas zu sehen, wenn es nicht schön oder prächtig war? Einzig weil es schwierig war, es zu sehen?
    Am nächsten Tag frühstückten wir lange, dann zog es Vera zurück an ihren Schreibtisch. Ich begann , mein Arbeitszimmer aufzuräumen, was immer darauf hinauslief, dass ich den ganzen Tag alte Comicbücher las. Am Nachmittag, nach zwei Sammelbänden, beschloss ich, mich bei Tom zu melden. Ich hatte das Gefühl, mich zu wenig bei ihm bedankt zu haben. Da ich seine Telefonnummer nicht kannte, versuchte ich es über die Sternwarte. Erst gegen Abend war dort jemand zu erreichen.
    »Tom Eisenroth? Der Junge, der das Teleskop gebaut hat?« Ohne Umstände bekam ich seine Nummer ausgehändigt und wählte noch einmal.
    »Hallo?« , knurrte es undeutlich an meinem Ohr. Das war nicht Tom. Als ich nach Tom fragte, folgte ein Knall – mein Gegenüber hatte den Hörer irgendwo hingeworfen – und dann ein leises mürrisches Selbstgespräch. Toms Name wurde gerufen oder vielmehr gebrüllt. Wenig regte sich, bis ich nach einer Weile wieder ein Knurren an meinem Ohr hörte: »Ist nicht da.« Es klickte. Aufgelegt.
    Am späteren Abend versuchte ich es erneut. Zu meiner Erleichterung meldete sich diesmal Tom selbst.
    »Oh, Philipp, du bist’s!«
    »Klar, ich wollte mich nur noch mal bedanken«, sagte ich. »Für die ganze Aktion.«
    »Keine Ursache.«
    »Also es war …kein normaler Abend für mich.«
    »Für mich schon.«
    Da ich in Plauderlaune war, erzählte ich ihm von meinen Skizzen. Etwas daran schien ihn zu amüsieren.
    »Was ist?«, fragte ich.
    »Du hättest ihn gleich am Teleskop zeichnen sollen, nicht aus dem Gedächtnis. Sonst vergisst du das meiste.«
    Er gab mir noch alle möglichen Tipps zu Papier und Format, ja sogar zu Bleistifthärten und Federstärken. Es wunderte mich, dass er so viel von meinem Handwerk verstand.
    »Hör mal«, sagte ich. »Dienstag habe ich frei. Und es soll einer der letzten warmen Tage werden. Wo wohnst du eigentlich?«
    »Am Ammersee.«
    »Soll ich dich abholen? Wir drehen eine Runde um den See.«
    Es entstand eine Pause in der Leitung. Es war ein Zögern, dasselbe wie auf dem Dach. Mir kam es vor, als wolle er eigentlich sagen: »Nein, das geht nicht.« Aber dann schluckte er es hinunter.
    »Okay, klar«, sagte er.
    »Aber ich fahre«, sagte ich.
    Toms Adresse lag an der Landstraße, die sich auf westlicher Seite um den See zog. Erst nachdem ich bereits einmal vorbeigefahren war und gewendet hatte, entdeckte ich in einer Kurve das Firmenschild eines Steinmetzes und daneben die Einfahrt. In einer Senke am Ende des abschüssigen Wegs stand ein einzelner Bau mit gelblicher Fassade, halb Wohnhaus, halb Werkstatt. Ein Kleinlaster parkte zwischen aufgestapelten Steinplatten auf dem Hof. Auffälliger aber war der Garten des Hauses, der auf seltsame Art bevölkert war. Aus der Entfernung erkannte ich eine kaum überschaubare Menge weißer Gips- und Steinskulpturen. Es waren wohl Zierfiguren, die für Parks und Vorgärten bestimmt waren –Tiere, Engel, Kinder und Fabelwesen, einige von ihnen fast mannshoch. Sie vermittelten den Eindruck einer Epidemie, die sich in dem ganzen Garten ausgebreitet und alle lebenden Wesen darin in leichenstarre Puppen verwandelt hatte.
    In einer kleinen Einfriedung zu meiner Rechten sah ich Grabkreuze. Zunächst hielt ich auch sie für Schaustücke, aber zu meiner Überraschung war dort ein echter Friedhof. Nicht mehr als eine Handvoll klappriger und hagerer Eisenkreuze, die in zwei Reihen unter einigen Blaufichten standen. Geburts- und Todesdaten waren verwittert, verbogen oder herausgebrochen, der Friedhof mochte weit älter als das Haus sein. So bot sich mir, als ich mit dem Auto den Weg hinab- und dem Haus entgegenrollte, der Anblick eines verwunschenen Tals.
    Das letzte Stück ging ich zu Fuß. Ein Weg aus Steinplatten führte zur Haustür, vorbei an krähenden Hähnen, Fröschen, Schwänen, Zwerglöwen, dicklichen Jünglingen, einem sich aufbäumenden Hengst in Ferrari-Pose, ja sogar einem Seehund, der sich am Rande eines echten Teichs aalte. Die Wipfel der Fichten hinter dem Haus schirmten die bleichen Gespenster von der Nachmittagssonne ab.
    Der Mann, der auf mein Klingeln hin die Tür

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