Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

öffnete, war vielleicht fünfzig, etwas größer als ich und massig wie ein Bär. Er beäugte mich ohne Wohlwollen von oben.
    »Ja?« Das Knurren erkannte ich wieder. Seine Hände sahen aus wie Folterwerkzeuge, als hätten sie all die Figuren mit roher Kraft aus einem Steinbruch herausgeholt.
    »Ich bin mit Tom verabredet«, sagte ich und fand, dass das Wort »verabredet« in dieser Umgebung seltsam klang. Der Mann betrachtete mich einen weiteren Augenblick lang misstrauisch, dann deutete er mit einem enormen Daumen über die Schulter:
    »Der muss oben sein. Gehen Sie um das Haus rum, da ist der Weg.«
    Ich bedankte mich. Noch bevor ich mich von ihm abgewandt hatte, fiel die Haustür ins Schloss.
    An den Werkstätten vorbei gelangte ich zur Rückseite des Hauses, wo ein Trampelpfad begann, der direkt den Hügel hinaufführte. Auf einem weichen Nadelteppich unter hängenden Fichtenästen hindurch und schließlich über Stufen, die in den Waldweg gehauen waren, ging ich etwa zwei Minuten schnaufend bergan, bis sich der Wald lichtete und ich weiter oben auf der Hügelkuppe ein Gebäude sah, eine Art Turm, der die Wipfel der Fichten überragte und wie ein Denkmal auf der höchsten Stelle des Hügels stand. Auf dem letzten Stück Weg über die offene Wiese begutachtete ich das seltsame Gebäude. Es hatte ein gemauertes Fundament. In etwa vier Metern Höhe saß auf der graubraunen Bretterfassade ein mit Grünspan und Hageldellen überzogenes Kuppeldach. Das Observatorium sah nicht aus, als wäre es in den letzten fünfzig Jahren gebaut worden.
    Tom entdeckte ich auf einem Holzschemel hinter dem Gebäude in ein Buch vertieft. Als ich zu ihm trat, klappte er das Buch zu und zog die Augenbrauen zusammen.
    »Du hast es gefunden«, stellte er fest, ohne dass recht klar wurde, ob er sich darüber freute. Ich betrachtete Tom nun zum ersten Mal bei Tage. Er hatte ein ovales Gesicht mit starken Wangenknochen, die seinem Kopf eine gesunde Klarheit und zugleich einen leicht bäuerlichen, geschnitzten Charakter verliehen. Sein kurzgeschnittenes braunes Haar wuchs in unordentlichen Wirbeln, die sich wild herumbalgten. Am auffälligsten aber waren die Augen, die seiner Erscheinung entsprechend eigentlich haselnussbraun hätten sein müssen, tatsächlich aber waren sie grau wie eine Pfütze unter einem Novemberhimmel.
    »Wohnst du noch bei deinen Eltern?«, fragte ich.
    »Bei meinem Vater. Bist du ihm begegnet?« Er sah besorgt aus.
    »Halb so schlimm. Er hat mir den Weg gezeigt.«
    »Oh«, sagte er, als überraschte ihn das. »Ziemlich hässliches Zeug bei uns im Garten, oder?«
    Ich zuckte nur mit den Achseln. Unter uns schlängelte sich das Band der Landstraße durch ein Gehölz, dahinter lag die stille Fläche des Sees. Das nächste Dorf in südlicher Richtung lag halb versteckt in einer Mulde der lieblichen Wiesenlandschaft mit ihren freistehenden Lindenbäumen. Davor, unweit von uns, ragten zwei gelbe Baukräne in die Höhe, die das Bild recht grob verunstalteten.
    »Sollen wir mal reingehen?«, fragte Tom und lenkte meine Aufmerksamkeit wieder auf den Turm.
    Er öffnete die Tür, und ich folgte ihm in das halbdunkle Innere eines hohen Raums, in dem es nach Werkstatt roch – eine Mischung aus Öl und altem Eisen. Es war kühler, als ich erwartet hatte, die Holzwände sorgten wohl dafür, dass sich der Raum trotz der Kuppel in der Nachmittagssonne nicht zu sehr erhitzte. Im Zentrum befand sich eine massive Konstruktion aus Stahlrohren, allerdings war sie nur schemenhaft zu erkennen. Einen Moment standen wir vor diesem verschatteten Riesen – bis Tom an einem Seil zog, das von der Decke herabhing, und sich über uns ein heller Spalt öffnete. Sonnenlicht flutete von schräg oben in den Raum, tauchte einen Teil des Kuppelinneren in bronzefarbenes Feuer und streifte die Spitze eines wuchtigen Teleskops. Es war eine beeindruckende Erscheinung – ein altes Gerät auf einem hohen Stahlsockel, der von oben herab direkt in den Boden hineinführte. Als ich zwischen den Streben hindurchgriff und mit der Hand gegen den Sockel klopfte, spürte ich, dass er sehr massiv war. An der Seite stand eine Holztreppe auf Rollen.
    »Du kannst gerne raufklettern«, sagte Tom. »Es ist sicher.«
    Auf der obersten Treppenstufe konnte man immer noch aufrecht stehen. Staubteilchen wirbelten vor mir durch die Luft, als ich meinen Kopf in die Sonnenstrahlen reckte. Direkt vor meiner Nase war der mattgraue, vielleicht zweieinhalb Meter lange Tubus des