Die Kometenjäger: Roman (German Edition)
gestellten Fragen bekam.
Als ich wie üblich meinen Wagen am oberen Ende der Einfahrt parkte und den Fußweg zur Werkstatt einschlug, hörte ich bereits von weitem einen lauten Streit, der vor dem Haus ausgetragen wurde. Die Wutausbrüche des Vaters waren wie Keulenschläge. Jedes Mal, wenn ich seine tiefe, kehlige Stimme hörte, wollte ich die Flucht ergreifen. Auch Tom klang bis aufs Äußerste gereizt. Als ich dem Werkstatthof nah genug war, sah ich die beiden und fürchtete, sie könnten aufeinander losgehen. Tom stand mit dem Rücken zu mir an der Ecke des Hauses. Sein Vater, größer aber auch viel breiter als Tom, war kaum eine Armeslänge von ihm entfernt; Das Gesicht hinter seinem dampfenden Atem, der borstig graue Haarschopf, allein seine körperliche Präsenz – einem attackierenden Keiler ähnlich – war so einschüchternd, dass ich kaum darauf achtete, worum es eigentlich ging. Ich erinnere mich aber, dass Toms Vater schrie: »Du bestimmst hier gar nichts! Hörst du, gar nichts!« Und Tom schrie: »Hat sie dir wenigstens früher dasselbe gesagt? Dass du nichts zu bestimmen hast?«
»Red nicht von Mama«, schrie sein Vater nun so laut, dass ich glaubte, er habe den Verstand verloren.
Ich brauche nicht zu erklären, wie unangenehm es mir war, das alles mitzuerleben. Anfangs hatte ich um Tom gefürchtet. Aber die Wut, die von Tom ausging, wirkte in ihrer schneidenden Schärfe weit gefährlicher als das stumpfe Gebrüll des Vaters. Außerdem kam es mir jetzt so vor, als sei der Vater in der Defensive.
»Sag’s mir doch«, rief Tom noch einmal höhnisch. »Hat sie dir das Gleiche gesagt?«
»Untersteh dich, von Mama zu reden!«
»Ich red nicht von Mama. Kapierst du das endlich?«
»Untersteh dich«, sagte der Vater noch einmal und machte eine drohende Handbewegung. Er wirkte betrunken und kam mir plötzlich hilflos vor – als könnte er sich nur mit Gebrüll gegen Toms gezielte Attacken zur Wehr setzen.
»Ich red nicht von Mama«, schrie Tom. Seine Stimme verlor das Schneidende und klang fast verzweifelt. »Ich rede von mir«, schrie er. »Verstehst du das? Von mir! Von mir! Von mir!«
Das letzte »von mir« kippte in ein Schluchzen um. Gleichzeitig verlor Toms Körper die Spannung und lockerte sich. Es war wie ein Aufgeben. Einen Moment verharrte er in dieser seltsam schlaffen Haltung. Dann drehte er sich um, als wolle er weglaufen, aber da bemerkte er mich und blickte mir erschrocken in die Augen.
Eine halbe Stunde später gingen wir am Seeufer spazieren. Ich hatte Tom gefragt, ob er lieber allein sein wolle, und er hatte Nein gesagt. Doch es war ihm sichtlich peinlich, dass ich die Szene miterlebt hatte. Wir schwiegen die meiste Zeit. Der See lag dunkel und bewegt unter dem flachen Novemberlicht. Es waren keine Boote draußen , und die Uferlandschaft vor uns, im Süden, wo sich das Wasser zu einer formlosen Schilflandschaft hin verjüngte, sah verlassen und grau aus. Schnell waren wir aus dem Dorf hinaus , und Tom führte mich über knirschende Kiesbänke, an leeren Stegen und Zäunen entlang. Nach einer Weile verließen wir das Ufer und gingen wieder bergan, direkt auf die zwei gelben Baukräne zu, die mir schon bei meinem ersten Besuch aufgefallen waren. Sie ragten vom höchsten Punkt des Hügels auf, so dass sie zwangsläufig auffielen. Was auch immer dort entstand, es musste etwas Großes sein. Zu den Füßen der Kräne zog sich ein Bauzaun um den Berg, den wir entlangspazierten, bis schließlich drüben auf dem nächsten Hügel wieder das Observatorium in Sichtweite kam. Der kleine Turm stand würdevoll an seinem eigenen Platz, er kam mir vor wie ein natürlicher Teil der Landschaft, ein etwas angegrauter Wächter, der seit langem hier festgewachsen war.
»Was wird hier gebaut?«
»Ein Hotel.«
»Ist ja toll.«
»Absolut.« Tom scharrte mit den Füßen im Kies vor dem Bauzaun.
Ich verfiel in einen schwärmerischen Ton: »Tagungen und Wellness in herrlicher Voralpenkulisse …«
»Bitte, hör auf, Philipp.« Ich merkte sofort, dass er nicht zu Späßen aufgelegt war. Es klang fast flehentlich.
Tom atmete schwer aus. Eine Weile stierte er düster vor sich hin und zeichnete Kiesmuster mit den Füßen. Ich sah an den beiden Kränen hinauf. Vor dem kalten leeren Himmel hoben sich die geblichen Metallstreben hyperplastisch ab. Die kraftlose Novembersonne stand bereits am Horizont, der Tag verging ohne Widerstand. Auf den Spitzen der Kräne, hoch oben in der Luft, begannen rote Lämpchen
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