Die Kometenjäger: Roman (German Edition)
hinterher, der seine Schultern zu Boden zog. Er schlurfte mit Schlagseite wie ein Kettensträfling.
Der Fahrer wartete tatsächlich genau wie vereinbart auf uns. Am Ende der Taxi- und Busspur trafen wir einen untersetzten Mann mit schwarzen Igelhaaren und einem verschwitzten Hemd, der ein Pappschild mit der Aufschrift »Scopeville« in die Luft hielt. Ich wollte ihm die Hand geben, aber er nahm Tom bereits den Koffer ab, führte uns zu einer schwarzen Limousine und ließ uns in den plüschigen Fond einsteigen. Kurz darauf glitten wir mit summendem Motor an überdimensionierten Flughafenhotels und beleuchteten Werbebannern auf hohen Stelzen vorbei. Die Fenster der Aussichtsrestaurants verströmten blaues Luxuslicht, das irisierende Grün der Palmen glomm über uns wie ein Neongas. Nach ein, zwei Ampeln gerieten wir auf einen vielspurigen Highway, mitten in den rollenden Zug der Autos. Der Fahrer beschleunigte rasch, und ich merkte, wie ich mich endgültig in einem Hochgefühl aus Müdigkeit und Staunen verlor. Die Magie der Ankunft stieg mir zu Kopf wie eine Droge.
Los Angeles, nicht München! Keine Frage, wer es weiter gebracht hatte, Vera oder ich. Und alles war für uns arrangiert wie für wichtige Gäste. Ich begriff zwar nicht, warum Tom sein Teleskop nicht in Europa verkaufen konnte oder wollte, aber sein Starrsinn hatte sich ausgezahlt. Er hatte sich so lange geziert, einen Preis zu nennen oder jemanden in seinem Observatorium zu empfangen, bis ihm der amerikanische Händler kurzerhand zwei Flugtickets in die USA spendiert hatte. Darüber, dass ich mitflog, hatte von Anfang an kein Zweifel bestanden. Ich war zwar auch noch nie in Amerika gewesen, aber mein Englisch war brauchbar – zu irgendwas mussten die ganzen Original-Comics ja gut sein. Und außerdem: Wer hätte Tom sonst begleiten sollen?
Während wir uns geschickt durch den Verkehr schlängelten, unterhielt uns der Fahrer mit Familiengeschichten. Er war Iraner und lebte mit seinen Eltern und seinen hier geborenen jüngeren Geschwistern schon seit der Revolution in den USA. Tom und ich stellten ihm nebenbei Fragen, während wir vergeblich versuchten, draußen Sehenswürdigkeiten zu erkennen. Jedes beleuchtete Werbebanner war für mich ein Ereignis. ABC, CBS, HBO, Disney. Ich sah konzentriert nach draußen, um nicht die kleinste Kleinigkeit zu verpassen. Die Blechlawine auf der Stadtautobahn rollte mit einer seltsam mechanischen Präzision vorwärts, Hecks und Stoßstangen dicht an dicht, als führen alle auf Autopilot. Viel anderes gab es nicht außer Autos und Werbebannern.
Wo genau unsere Unterkunft lag, wusste ich nicht. »Unsere Partner« – so professionell drückten wir uns jetzt aus – hatten uns ein Hotel gebucht. Da ich wie selbstverständlich annahm, dass für unsere Partner Geld keine Rolle spielte, hatten sich bei mir im Kopf Bilder festgesetzt von Pools und Magnoliengärten, die einen dunstigen Pazifik überblickten. Nun, ich wurde überrascht: Die Limousine beförderte uns wie im Flug durch die Stadt, von der ich nicht viel sah außer fernen Hochhäusern, dann in die dunklen Berge hinein, und als wir aus den Bergen wieder herauskamen, befanden wir uns in einem ausgedehnten Niemandsland aus breiten Straßen und Tankstellen, langgezogenen Malls und vorstädtischen Wohnsiedlungen.
»Wo sind wir hier?«, fragte ich.
»Im Valley«, erklärte der Fahrer.
»Nicht mehr in Los Angeles?«
»Doch«, sagte er, »nur auf der anderen Seite.« Er chauffierte uns von einer verlassenen Hauptstraße zur nächsten, vorbei an den Prozessionen von Kettenrestaurants und Vorgärten, überquerte noch ein paar Kreuzungen, dann waren wir am Ziel, auf einem quadratischen Parkplatz, eingerahmt von dem hufeisenförmigen Flachbau eines zweistöckigen Vertretermotels. Wir bedankten uns bei dem Fahrer, der kein Geld annehmen wollte, stiegen aus – und mit der Limousine verschwand auch mein kalifornisches Hochgefühl. Die Rezeption, in die wir unser Gepäck schleppten, sah aus wie der Empfang eines Krankenhauses. Neonlicht und Formulare. Begrüßt wurden wir von einer jungen Dame mit breiten Hüften. Sie erkundigte sich in donnerndem Kommandoton nach dem Zweck unseres Aufenthalts.
»Geschäftlich«, sagte Tom.
»Was für ein Geschäft?«, fragte sie, nicht sehr diskret.
»Optische Geräte.«
Optische Geräte aus Deutschland. Das schien ihr wenigstens etwas Respekt abzunötigen, denn sie stellte keine weiteren Fragen.
»Gibt es hier denn etwas zu sehen?«,
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