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Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Titel: Die Kometenjäger: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Deckert
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Haus. Es stand allein, ein Haus aus Holz auf einer Lichtung, kaum größer als eins jener Shotgun-Shacks am Rande der Highways, die der Sturm mit sich fortreißt, aber mit ordentlichen Fensterläden und einem Eingang unter einem kleinen, schrägen Vordach. Dale versuchte noch, uns den Weg zu unserem Motel zu erklären. Aber seine Stimme war undeutlich geworden. Als er aus dem Wagen aussteigen wollte, sah ich, dass er sich schwertat. Er saß zu tief, und seine Beine waren wohl zu schlecht durchblutet. Er umklammerte mit einer Hand den Türrahmen und versuchte sich hinauszuhieven. Tom und ich mussten beide mit anfassen. Jeder nahm eine Hand, und dann hoben wir ihn gemeinsam aus dem Sitz, bis er stehen und sich an der offenen Tür abstützen konnte.
    »Sorry, Kumpels«, sagte Dale verlegen. »Ihr habt was gut bei mir.«
    Mit vereinten Kräften brachten wir ihn zur Haustür. Er kramte in seiner Hosentasche, aber fand die Schlüssel nicht. Wir gingen um das Haus herum zu einer Veranda, die im Dunkeln lag. Es stand ein bisschen Gerümpel dort, ein einzelner Stuhl, und dahinter war nur noch Nacht und Wildnis. Dale fand einen Schlüssel, öffnete die Tür und knipste das Licht im Haus an. Wir gingen durch eine Stube. Alles darin sah alt aus – ein kleiner Röhrenfernseher, eine durchgesessene Couch, vor der Stiefel standen, eine kleine Küche mit ölbefleckten Holztüren. Es war alles beengt, aber sauber, so sauber und ordentlich wie es ein alleinstehender Mann schaffte. Dales Schuhe waren im Flur aufgereiht, drei Paar unter einem kleinen Spiegel.
    Er entschuldigte sich noch einmal bei uns, ich weiß nicht wofür, dann schälte er sich mühsam aus seiner Jacke, hängte sie an einen Haken und sagte bestimmt: »Ich muss mich hinlegen«, als hätten wir andere Pläne mit ihm gehabt. Als er uns nach vorn zur Haustür brachte, konnte ich in sein kleines Schlafzimmer sehen, die fadenscheinig gewordene Matratze, die gefalteten Kleider. Dann an der Haustür sammelte er genügend Kraft, um Tom die Hand zu schütteln, und umarmte mich: »Wirklich. Ich muss mich hinlegen.«
    Tom und ich verbrachten die Nacht in einer engen Kammer mit lindgrünen Wänden, voluminösem Doppelbett und einer Bibel auf dem Nachttisch. Als ich mich auf den Rücken legte und die Decke anstarrte, fragte ich mich, wer wohl normalerweise in solchen Zimmern abstieg. Ich konnte mir nur ausgeglühte Sektenprediger und Schnapshändler auf der Durchreise vorstellen, Männer, die dem Untergang geweiht waren, gefangen in einem lindgrünen Albtraum. Tom lag neben mir und begann in der Bibel zu blättern. Ich dachte an Dales einsames kleines Haus in der Dunkelheit. Plötzlich kam es mir vor, als wären Tom und ich kleine Kinder, unsere ganze Mission, unsere Fahrerei, die Suche nach dunklen Orten, es war alles nur Verweigerung. Wir hatten uns nur damit beschäftigt, um uns von solchen Realitäten abzukapseln.
    »Was denkst du, macht dein Vater grade?«, fragte ich.
    »Wie kommst du auf den?«
    »Ich musste an ihn denken … weil ich ihn kaum kenne.«
    »Er sitzt wahrscheinlich zu Hause und trinkt sich die Schmerzen von der Bestrahlung weg.«
    Er gähnte betont, als wäre ihm das Thema zu langweilig.
    »Glaubst du, dass er einsam ist?«
    »Weiß ich nicht. Ich will’s nicht wissen.«
    »Warum nicht?«
    »Er hat sich auch nie gefragt, wie es mir geht. Oder meiner Mutter oder sonst wem.«
    »Aber trotzdem kümmerst du dich um ihn.«
    »Ja. Ich kann ihn schlecht abkratzen lassen.« Er lachte in Richtung des dunklen Fensters. »Aber für das, was wir hier machen, können wir keine Dankbarkeit erwarten.«
    »Dafür weißt du, dass du das Richtige machst.«
    »Weiß ich nicht, aber danke.«
    Tom lag immer noch auf dem Bauch und blätterte in der Bibel, während mir langsam die Augen zufielen.
    »Mein Vater hat selbst auch keine Dankbarkeit gekriegt«, sagte Tom mitten in die Stille hinein.
    »Was?«
    »Mein Vater. Weißt du, er war in der Familie immer nur der Dummkopf. Und dann hat er auch noch unter dem Turm des großen Manns seine laute, hässliche Werkstatt aufgemacht. Er war für meinen Großvater der ungebildete Sohn. Ich war immer der Lieblingsenkel. Wahrscheinlich habe ich einfach Glück gehabt und mein Vater nicht.«
    Es war immer wieder überraschend, wie sich Familiengeschichten ähnelten: Die ganze Wut zwischen Eltern und ihren aus der Art geschlagenen Söhnen. Die Zuneigung, die einfach eine Generation übersprang und ein Band zwischen den Großeltern und Enkeln

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