Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Titel: Die Kometenjäger: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Deckert
Vom Netzwerk:
auf dem Weg zum Grand Canyon. Manchmal blieben sie auch in Flagstaff wegen der klaren Luft. An klaren Tagen, also an nahezu jedem Tag, könne man von den Bergen bis zum Grand Canyon sehen. Er sagte, er habe ein kleines Haus unten am Stadtrand. »Ich kann mir die Stadt nicht leisten.« Aber das sei kein Problem, ergänzte er. Sein Haus rutsche den Hang hinunter, jedes Jahr ein paar Inches. »Bald liegt es mitten in Zentrum.«
    Seine unaufdringliche Offenheit hatte etwas Entwaffnendes. Eine amerikanische Offenheit, die ich noch nicht gewohnt war. Mit seiner alten AT&T-Kappe, der altmodischen Stahlbrille und dem Eishockeylogo auf der Jacke sah der Mann nicht aus wie ein Rancher, eher wie ein Arbeiter aus der Industrie. Und noch bevor ich mein zweites Bier ausgetrunken hatte, hatte ich seine Geschichte erfahren. Er stammte aus dem Osten, aus New Jersey, und hatte dort als Pipeline-Schweißer gearbeitet – bis er durch einen Unfall berufsunfähig wurde. Von einem Tag auf den anderen war er ohne Job, sein kleines Haus wurde zwangsversteigert. Anstatt des Elends im Osten hatte er die Flucht nach vorne gesucht, in den Westen. Weg von den weißen Leichentuchhimmeln und den kleinen Vorgärten New Jerseys. Er erledigte sein Bier mit der sachlichen Ruhe und Zügigkeit der routinierten Barbesucher. »Dale Hansen«, stellte er sich vor, stieß mit mir an und trank aus.
    Tom bekam von alldem nichts mit. Er schlief, drüben an unserem Tisch, den Kopf gegen die Wand gelehnt. Die Bar füllte sich allmählich. Die Gäste kamen paarweise, junge Männer, die gebügelte Hemden, große Gürtelschnallen und Stetson-Hüte trugen, und Frauen mit engen Jacken über runden Jeans-Pos, es war wohl die lokale Uniform für den Samstagabend – und es dauerte tatsächlich nicht lange, bis jemand die Musik aufdrehte. Jetzt lief eine Art Countryrock, aber ein sehr glatter, nach Rasierwasser duftender Country. Die kräftigen geschniegelten Männer und ihre blonden Eroberungen fingen gemeinsam an über die Tanzfläche zu wirbeln.
    Dale und ich blieben an der Bar sitzen, das amerikanische Proletariat und die europäische Lumpenboheme vereint unter lauter Wochenend-Cowboys. Wenigstens schienen wir nicht aufzufallen. An dem Testosteron auf der Tanzfläche und dem Tempo, in dem Getränke bestellt wurden, konnte man sehen, dass der Samstagabend zu kostbar war, um mit Fragen verschwendet zu werden.
    »Was ist mit deinem Kumpel?«, fragte mich Dale, der bemerkte, dass ich immer wieder besorgt zu dem nach wie vor schlafenden Tom hinübersah.
    »Nichts. Er ist nur fertig. Wir müssen noch ein Zimmer für die Nacht suchen.«
    Dale schlug sofort vor, ein paar Anrufe zu tätigen. Er kenne eine Menge Leute hier und würde uns sicher ein Bett und eine billige Unterkunft in der Gegend besorgen können. Ich sah ihn auf den Wirt einreden, und der Wirt wiederum griff zum Telefon. Zwei Minuten später hatten wir eine Bleibe für die Nacht.
    »Das Zimmer kostet euch Jungs zwanzig Dollar die Nacht. Könnt ihr damit leben?«
    Ich musste dem Drang widerstehen, ihn zu umarmen, und bestand darauf, ihm einen Drink seiner Wahl zu spendieren. Seine Wahl fiel auf noch ein Bier. Anschließend, beim gemeinsamen Aufbruch, konnte ich sehen, dass er ein wenig aus dem Gleichgewicht geriet. Er war einen Kopf kleiner als ich, sein kugelförmiger Leib füllte die enge Eishockeyjacke ganz aus, so dass sie an den Ärmeln wie ausgestopft aussah.
    »Wie kommst du nach Hause?«, fragte ich ihn.
    »Ich werd wohl fahren«, meinte er.
    »Das geht nicht«, sagte ich. Und da er nicht widersprach, zeigte ich auf Tom. »Er fährt.«
    Obwohl im Raum schon gebrüllt wurde und die ersten Gläser zu Bruch gingen, wachte Tom erst auf, als ich ihn an die Schulter tippte. Er bemerkte die veränderte Situation in der Bar mit schläfrigem Staunen, aber wir zogen ihn schon nach draußen. Im Zickzack rollte unser Auto den Hügel hinunter. Das fremde Tal lag vor uns wie ein dunkler See, zu dessen Ufern wir hinabstiegen. Aus dem Radio kam die belegte Stimme eines Sängers, der klang wie ein sterbender Cowboy, diesmal war es echter Country. Ausweglos und todtraurig.
    If I had no place to fall
    And I needed to
    Could I count on you
    to lay me down
    I ain’t much of a lover it’s true
    I’m here then I’m gone
    And I’m forever blue
    But I’m sure wanting you
    Dale schnarchte auf dem Beifahrersitz. Als wir am Fuß des Berges angekommen waren, musste ich ihn wachrütteln, und er zeigte uns den Weg zu seinem

Weitere Kostenlose Bücher