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Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Die Kometenjäger: Roman (German Edition)

Titel: Die Kometenjäger: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Deckert
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rollte ein langer Güterzug an uns vorbei. Er fuhr mitten durch die Stadt, so langsam, dass es Minuten dauerte, bis wir wieder sprechen konnten.
    »Was soll’s?«, schrie Tom in das verebbende Geratter hinein. »Wir können auch einfach hinfahren.«
    »Aber wohin?«
    »Na, zu den Vulkanen. Die Frau hat gesagt, er hat Land bei den Vulkanen.«
    Er holte eine Karte aus dem Auto, die er mir hinhielt. Ein Gebiet nordöstlich von Flagstaff war als Sehenswürdigkeit markiert. Ich sah einen kleinen Kreis, und in der Mitte stand: »Sunset Crater Volcano Monument.«
    Im Osten von Flagstaff wurde die Hauptstraße zu einer breiten Ausfallstraße. Laut Karte befanden wir uns auf dem historischen Highway 66, der alten Direktroute zwischen Chicago und Los Angeles. Motels reihten sich aneinander, bunte Schilder mit geschwungenen, nostalgischen Schriftzügen: »Whispering Winds Motel«, »Red Rose Inn Motel« und die »Starlite«-Bowlingbahn. Darunter warben Blockbuchstaben auf weißen Tafeln mit den immer gleichen knappen Codes um Gäste: LO RATES, WKLY RATES, CABLE, ESPN, HBO. Wir passierten Fabriken und eine Freeway-Auffahrt. In einem Bogen ging es aus der Stadt hinaus und wieder durch lichten Nadelwald, bis zu einer Abzweigung.
    »Winona«, sagte Tom und zeigte auf den Pfeil. »In diese Richtung müssen wir.«
    Der Townsend Winona Drive führte durch ein Land aus kräftigen Farben. Hinter Zäunen erstreckten sich ausgedehnte Koppeln, auf denen Pferde weideten und Autos Rost ansetzten. Die Ranchen der Gegend waren zumeist gewöhnliche niedrige Holzhäuser, aber sie hatten schöne Zufahrten. Wir sahen Tore, verziert mit verschnörkelten Initialen oder Wagenrädern. Die Mittagsluft war immer noch frisch und durchsichtig. Die beschneiten Gipfel im Nordwesten zeichneten sich ab wie in einem Demonstrationsfilm für hochauflösende Fernsehbilder. Das Blau des Himmels erinnerte mich an bestimmte Herbsttage in München, jene magischen Tage, an denen das Ultramarin ein unwirkliches Tiefenleuchten annimmt und die Menschen wie eine Droge aus ihren Häusern lockt. Allerdings gab es diese Tage zu Hause nicht allzu oft.
    Wir fragten uns schon, ob wir die Abzweigung zum Sunset Crater verpasst hatten, als wir, mitten auf einer Weide, eine Rakete stehen sahen. Es war keine echte Rakete, glaube ich, eher ein Spielzeug, das ein Rancher für seine Söhne gebaut hatte, aber beeindruckend war sie trotzdem. Sie sah aus wie eine V2, zigarrenförmig, rot-weiß lackiert, und gut vier oder fünf Meter hoch. Etwa eine Meile weiter stand eine lange Reihe von eisernen Briefkästen am Straßenrand. Sie gehörten zu einer scheinbar namenlosen kleinen Siedlung, einer Reihe ärmlicher Häuser entlang einer Staubpiste.
    Weil uns nichts Besseres einfiel, parkten wir den Wagen und gingen zu Fuß den Weg entlang, um uns nach etwaigen Vulkanen zu erkundigen. Die Häuser waren nicht gerade baufällig, aber von der billigsten Konstruktionsweise, einfache Holzhäuser ohne Keller, und längliche Schuppen, auf deren Veranden Blechglockenspiele im Wind klimperten. An fast allen Zäunen hingen »No Trespassing« oder »Keep out«-Schilder und Warnungen vor bissigen Hunden, aber das gefährlichste Tier in der Nähe war ein alter Gaul mit kahlen vernarbten Flecken im Fell. Er graste einsam und abgerissen hinter seinem Zaun. Ich streckte den Arm aus, um seinen Kopf zu streicheln. Er war bissig, aber zu langsam.
    Auf den leeren Grundstücken standen nicht nur jede Menge Autos herum – neue, alte und ausgeschlachtete – sondern auch Motorräder, Buggys, und wir sahen sogar Boote. Die Men schen hier mussten ein Faible für Motoren haben. Am Ende des Wegs wirbelte irgendein Gefährt gewaltig Staub auf. Es zog eine Wolke hinter sich her wie ein ganzer Lastwagenkonvoi. Das Gefährt kam auf uns zu. Als es uns fast erreicht hatte, sah ich, dass es ein Quad war, eins dieser motorisierten Gokarts fürs Gelände. Ein kleiner Junge saß darauf. Er brauste lärmend vorbei, ohne von uns Notiz zu nehmen.
    Wir gingen weiter bis zum Ende des Wegs, begleitet von zwei zottigen Hunden, die hinter ihrem Zaun neben uns herliefen und die ganze Zeit fiepten und jaulten. Ansonsten waren wir allein. Ich blieb stehen. Plötzlich hatte ich zum ersten Mal während dieser Reise das Bedürfnis, ein Foto zu machen. Die Ranchen, die schneebedeckte Berge neben mir und die ramponierte Corvette, die vor uns im Gras stand, all das war so uramerikanisch, ja romantisch, dass der Tourist in mir nicht anders konnte.

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