Die Kommissarin und der Tote im Fjord
antwortete nicht, sondern starrte vor sich hin. Mit feuchten Augen. Sie blinzelte.
»Können Sie zum Beispiel Zeugen dafür nennen, die bestätigen können, dass Sie Sveinung Adeler nicht gefolgt sind?«
»Wer sollte das bestätigen? Olaf – also mein Freund? Er war ja schließlich in Berlin.«
»Was hat er in Berlin gemacht?«
»Gearbeitet. Er arbeitet beim Norwegischen Exportrat.«
»Kann ich seinen Namen und seine Adresse haben?«
»Wozu?«
»Weil Sie ihn mit einem Mann betrogen haben, der möglicherweise eine halbe Stunde, nachdem er aus Ihrem Bett gestiegen ist, von einem Kai gestoßen wurde.«
Lisbets Augen waren nicht mehr feucht.
»Sie verstehen sicher, dass wir Ihren Olaf überprüfen müssen, um ihn als Täter auszuschließen.«
»Aber ich weiß, dass er in Berlin war. Er hat ein Handy mit deutscher SIM-Karte. Ich habe ihn an dem Abend angerufen, in Berlin, eine halbe Stunde, bevor Sveinung kam.«
»Ich brauche trotzdem seinen Namen und seine Adresse.«
Lisbet zögerte immer noch. »Muss er den Grund dafür erfahren, warum Sie ihn ausfragen?«
Lena sprang vom Sofa auf.
»Was ist?«, fragte die blonde Frau beunruhigt.
»Sie haben uns genug Zeit gekostet!«
Lisbet stand wortlos auf, ging zu der Anrichte mit den vielen Büchern und griff nach einem Stift, der neben ein paar losen Blättern lag.
*
Als Lena kurz darauf zur Kreuzung Bygdøy Allé – Gabels Gate ging, warf sie einen Blick auf ihr erfrorenes Auto. Mit einer grauen, dicken und harten Schicht Raureif auf allen Fenstern, sogar auf dem Lack, sah es tatsächlich aus wie eine Leiche.
Lena schlenderte in Richtung Zentrum. Es war nach Mitternacht, und kein Mensch war mehr unterwegs. Sie schleuste alle Gedanken an Sveinung Adeler und Lisbet Enderud aus ihrem Kopf. Vor ihr lag ein ganzer freier Tag. Jetzt musste sie nur noch ein Taxi finden und nach Hause kommen. Dann würde sie sich im Bett noch eine kleine Flasche Schampus gönnen. Am liebsten hätte sie mehrere Tage geschlafen.
MONTAG, 21. DEZEMBER
1
Erst als sie am Montagmorgen im Bus saß, dachte Lena wieder an Sveinung Adeler und die Frau, mit der er in der Nacht, bevor er ertrank, zusammen gewesen war. Sie war gerade in den Bus gesprungen, da klingelte ihr Handy.
Es war Gunnarstranda.
»Hast du den Zettel gesehen, den ich in Adelers Wohnung gefunden habe?«, fragte Lena. »Die mysteriöse L., die ihn unterschrieben hat, heißt Lisbet Enderud und wohnt in der Bygdøy Allé. Sie und Adeler …«
»Ich wusste doch, dass ich die Handschrift schon mal irgendwo gesehen hatte!«, unterbrach sie Gunnarstranda.
Lena schwieg und fiel auf den Sitz, als sich der Bus in Bewegung setzte.
»Ich habe ihre Notizen gesehen. Lisbet Enderud ist die Frau, die den Drohbrief an Vestgård unterzeichnet hat. Ich habe ihre Notizen mit dem Drohbrief verglichen, um zu sehen, ob es ihre Handschrift war.«
Lena wurde schwindelig.
Gunnarstranda lachte glucksend. »Das Mädel wohnt in der Bygdøy Allé? Blond und süß und mit vielen Lehrbüchern überall in der Wohnung?«
»Genau.«
»Das ist sie«, sagte Gunnarstranda.
Lena schluckte. Die Spur, die sie am Samstagabend verfolgt hatte, wurde immer heißer.
Die Stille am anderen Ende der Leitung sagte ihr, dass Gunnarstranda dasselbe dachte.
»Ich rufe dich wieder an«, sagte Lena und sah auf die Uhr. »Nein. Wir sehen uns in zehn Minuten.«
Danach rief sie Lisbet Enderud an. Es klingelte zweimal, dann meldete sich Lisbet.
»Hallo, ich bin’s, Lena Stigersand.«
»Hei«, sagte Lisbet. »Was gibt es?«
»Ich rufe an, weil ich Sie etwas fragen muss. Letzten Freitag hat sich ein kleiner, kahlköpfiger Bulle mit Holzschuhen an den Füßen bei Ihnen gemeldet und Sie wegen eines Drohbriefs befragt, stimmt das?«
Lisbet konnte das bestätigen.
»Hat Sie sonst noch jemand nach diesem Brief gefragt?«
»Nein. Ich war total baff, erstmal natürlich wegen des Briefes, aber auch, weil der komische Typ behauptet hat, er sei Polizist.«
Lena dankte ihr.
»Kann ich Sie noch etwas fragen?«, fragte Lisbet.
»Ja.«
»Haben Sie mit Olaf gesprochen?«
»Wenn wir das tun, werden wir Ihnen Bescheid geben.«
Lena beendete das Gespräch und konzentrierte sich darauf, mögliche Ursachenketten zu durchdenken:
Gunnarstranda war am Freitag, dem 11. Dezember, bei Lisbet Enderud aufgetaucht. Zwar hätte Fartein Rise das eigentlich schon am Donnerstag tun sollen, aber der hatte den Auftrag nicht ausgeführt. Rindal musste diesen Auftrag also wenige Stunden,
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