Die Kommissarin und der Tote im Fjord
nachdem Sveinung Adelers Leiche gefunden wurde, vom Sicherheitsdienst im Parlament bekommen haben.
Wann konnte der Brief im Parlamentsgebäude eingegangen sein? Da der Brief eine Drohung gegen eine Abgeordnete enthielt, war er sofort dem Sicherheitsdienst übermittelt worden, der ihn wahrscheinlich schnell begutachtet und dann an Rindal geschickt hatte, der wiederum …
Der Brief musste am Donnerstag morgens oder vormittags im Stortinget angekommen sein – am selben Tag, an dem Sveinung Adelers Leiche gefunden wurde. Das war nicht nur wahrscheinlich. Es konnte gar nicht anders gewesen sein. Wenn der Brief am Tag davor, am Mittwoch, angekommen wäre, dann wäre noch am selben Abend oder in der Nacht zum Donnerstag jemand bei Lisbet Enderud aufgelaufen.
Lena konzentrierte sich darauf, den Handlungsverlauf zu rekonstruieren:
Am Mittwochabend geht Sveinung Adeler mit Aud Helen Vestgård und Asim Shamoun aus. Um 23 Uhr gehen sie wieder auseinander. Eine halbe Stunde später kommt Sveinung Adeler in Lisbet Enderuds Wohnung an. Sie verbringen die Nacht miteinander, und er verlässt die Wohnung erst gegen fünf Uhr morgens. Höchstens eine halbe Stunde später wird er vom Kai gestoßen, mit einem Brett unter Wasser gedrückt und ertrinkt. Der Täter folgt der Augenzeugin Nina Stenshagen in die T-Bahn, in einen Zug, wieder heraus und dann in einen Tunnel. Er erschießt Nina, täuscht einen Unfall vor und verschwindet spurlos.
Kurz darauf, wahrscheinlich gegen neun Uhr morgens, wird die Post im Parlament geöffnet, und Aud Helen Vestgård erhält eine Morddrohung, die mit Lisbet Enderud unterzeichnet ist.
Gunnarstranda meinte, Lisbet könne den Brief nicht geschrieben haben. Er vertrat die Theorie, dass die Morddrohung ein Hinweis war – ein Brief von einer unbekannten Person an Vestgård im Parlamentsgebäude adressiert –, um Lisbet zu diskreditieren.
Mit anderen Worten: Jemand – der Briefschreiber – wollte die Polizei auf Lisbet Enderud ansetzen. Warum? Weshalb ausgerechnet Lisbet? Und warum bekam ausgerechnet Aud Helen Vestgård diesen Drohbrief?
Drei Fragen. Lena kannte die Antworten nicht. Aber ihr war klar, was diese Fragen und deren Antworten in jedem Fall bedeuteten: Die Morddrohung musste mit Sveinung Adelers Tod in Verbindung stehen.
Selbstverständlich musste sie noch das Alibi von Lisbets Verlobtem überprüfen. Das ist ein Job für Yttergjerde, dachte sie und rief Emil sofort an.
Mit dem Handy am Ohr ließ sie ihren Blick über die Werbeplakate im Bus wandern. Nächste Haltestelle. Es wurde voller.
Auf dem Sitz vor ihr saß ein Mann und las eine Zeitung mit rosa Seiten, Dagens Næringsliv.
Lena reckte den Hals und sah ihm über die Schulter. Sie sah ein Foto von Aud Helen Vestgård und Asim Shamoun.
Der Passagier blätterte um.
Ihr brach der Schweiß aus. Was hatte die Zeitung wohl diesmal zu berichten?
2
Lena stieg am Jernbanetorget aus und ging gegen den Strom in die Halle des alten Ostbahnhofs, um eine Zeitung zu kaufen.
Der Fall wurde mit einem kleinen Teaser am Rand der Titelseite erwähnt: Vestgård entdramatisiert umstrittenes Treffen .
Lena wunderte sich über Steffens defensive Wortwahl. Was er zuvor als politische Konspiration dargestellt hatte, wurde jetzt zu einem umstrittenen Treffen reduziert. Lena kaufte die Zeitung und blätterte sofort zu der Seite, auf der der Artikelstand. Der Teaser stellte sich außerdem als irreführend heraus. Vestgård entdramatisierte gar nichts. Sie war weder interviewt noch über irgendetwas befragt worden. Der Journalist, Steffen Gjerstad, war es, der entdramatisierte, und das mit einer – in Lenas Augen – ungewöhnlich hässlichen Enthüllung: Dagens Næringsliv hatte erfahren , dass die Parlamentsabgeordnete Aud Helen Vestgård ein Kind mit dem Mann hatte, der in Skandinavien die zivile Fassade einer militärischen und sehr umstrittenen Widerstandsorganisation vertrat. Auch hier hatte Steffen seine Wortwahl gedämpft. Das Wort Terrorist tauchte nicht mehr auf.
Was Lena jedoch Magenschmerzen bereitete, war, dass Steffen offenbar von Aud Helen Vestgårds höchst geheimer Erklärung erfahren hatte. Das war alles andere als eine gute Nachricht. Sie hatten ein Leck im Team. Daran bestand kein Zweifel. Irgendjemand informierte Steffen über den Stand der Ermittlungen. Lena hatte keinen Zweifel daran, wer es war. Sie wusste, wen Steffen kannte und wer ihm willig Bericht erstattete. Aber etwas zu wissen oder konkrete Beweise zu haben
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