Die Kommissarin und der Tote im Fjord
froh, ihn los zu sein. Ein solcher Kopf wiegt meistens anderthalb Kilo. Dieser hier wiegt eins Komma neun. Zwei Kilo vom exklusivsten Fisch der Welt für zehn Kronen, Lena. Was die Leute nicht bedenken, ist, dass das Nackenstück zum Kopf dazugehört, und der Nacken ist das beste Stück vom Fisch, über ein halbes Kilo weißes, feinfaseriges Fleisch, perfekt für eine Suppe. Erst zerschneide ich den Kopf längs, mit einem scharfen Messer. Dann säubere ich etwas vom Gehirn heraus. Dann lasse ich die beiden Hälften in heißem, leicht gesalzenem Wasser mit einem kleinen Schuss Essig und einem großen Schluck Weißwein eine Stunde lang ziehen. Nur ziehen – nicht kochen. Dann gieße ich das Ganze durch ein Sieb. Einen besseren Fischfond gibt’s nicht auf dieser Welt. Dann mache ich eine Mehlschwitze, natürlich mit guter Meiereibutter, verrühre sie mit dem Fond und Sahne. Was sonst noch in die Suppe kommt, sind klein geschnittene Möhren und Porree. Am Ende tue ich das Fleisch aus dem Nackenstück dazu. Manchmal auch kleine Stücke von anderem Fisch, besonders Lachs oder Forelle, weil das Fleisch eine leicht rötliche Farbe hat, die gut zu den Möhren und dem Porree passt, ein paar Miesmuscheln und Krabben sind auch nicht verkehrt, aber die Meeresfrüchte dürfen nicht kochen und auch nicht zu lange ziehen. Meeresfrüchte in der Suppe richtig abzupassen ist eine Kunst für sich. Am Ende noch mit ein bisschen Pfeffer abschmecken. Diese Suppe ist wunderbar. Sie macht dich warm an kalten Tragen und ist so nahrhaft, dass es sich bei jedem Löffel anfühlt, als würde man Sonne und Frühling zu sich nehmen. Ein einziger Teller ist schon eine ganze Mahlzeit, denn der Heilbutt ist fett und die Sahne auch. Zu dieser Mahlzeit trinken Tove und ich ein kleines Glas Chablis oder Riesling, jedenfalls muss es ein sehr trockener Weißwein sein, der nach Mineralien schmeckt. Ich persönlich mag ja einen Mosel lieber, dessen Namen ich dirnicht verrate. Manche Geheimnisse kann ich teilen, aber nicht alle. Dieser Wein schmeckt so stark nach Mineralien, dass es sich bei jedem Schluck anfühlt, als würde man eine Essenz aus Schiefer und Stahl trinken.«
Die Tür zum Treppenhaus ging auf. Fartein Rise kam herein. Als er Lena und Gunnarstranda sah, hielt er inne und sah sie misstrauisch an. »Wer flüstert, der lügt«, sagte er schlecht gelaunt.
Gunnarstranda ging an ihm vorbei. »Ich habe gerade ein wertvolles Geheimnis mit Lena geteilt«, sagte er und hob ihr die Tragetasche entgegen. »Das bleibt aber unter uns, Lena, capisce?«
3
Der Gemeinschaftskühlschrank auf dem Korridor war brechend voll mit Milchkartons, deren Haltbarkeitsdatum abgelaufen war, und halbleeren Joghurtbechern. Gunnarstranda schaffte sich Platz und legte den Fischkopf hinein. Er freute sich riesig darauf, diese Suppe zu kochen. Aber eine Sache musste er vorher noch erledigen. Rindal hatte einen Beweis gefordert. Den sollte er bekommen.
Er fuhr mit der Straßenbahn zum Rathausplatz. Auf dem Kai, der der Festung Akershus am nächsten lag, flatterte immer noch das Absperrband der Polizei im Wind. Hier und da begannen die Enden auszufransen.
Wo konnten sich Nina und Stig versteckt haben?
Der Eiswind blies heftig über das offene Wasser, schnitt ihm ins Gesicht und zerrte an seinen Schalenden. Er beeilte sich, in den Windschatten des niedrigen Bürogebäudes in der Mitte des Kais zu kommen.
Hier war es passiert.
Gunnarstranda stieg über das Absperrband und trat an die Kaikante. Adeler konnte unmöglich ausgerutscht sein. Das konnte Gunnarstranda ausschließen. Nur wenn er volltrunken gewesen wäre, hätte er von allein hineinfallen können. Aber er war nicht betrunken gewesen, sondern vollkommen nüchtern.
Wie lange hatte Adeler es im Wasser ausgehalten, bevor er so unterkühlt war, dass er aufgab und ertrank? Eine Minute, anderthalb?
Gunnarstranda ging ganz ans Ende des Kais. Der Eisnebel hing dunkel über der Wasseroberfläche, drehte sich in schwerfälligen Spiralen, die langsam aufstiegen und sich zu feinerem Dunst auflösten. Messerscharfe Sonnenstrahlen, die die Wolken an manchen Stellen bedrohlich gelb und rot färbten, durchschnitten ihn, als wäre es kein Eisnebel, sondern Schwaden von Ruß nach einem Vulkanausbruch.
Gunnarstranda legte den Kopf in den Nacken und stellte fest, dass es keine Asche war, die da vom Himmel fiel, sondern Schnee.
Er ging zum Tatort zurück. Eingehend sah er sich in alle Richtungen um. Wo konnten sich die Zeugen des
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