Die Kommissarin und der Tote im Fjord
und zwei Kugelschreiberhüllen.
Lena durchsuchte den Abfall mit einer Gabel aus der Besteckschublade und fand zerknülltes Papier. Das meiste war anonyme Reklame. Aber zwischen den farbenfrohen Papieren leuchtete ein Stück von etwas Weißem: ein zusammengefalteter Briefumschlag. Er war an Sveinung Adeler adressiert, aber unfrankiert.
In dieser klinisch unpersönlichen Wohnung eine private Mitteilung zu finden ließ ihre Hände zittern.
Vorsichtig öffnete sie den Umschlag. Darin lag ein kleiner zusammengefalteter Zettel. Eine kleine Notiz, geschrieben mit blauer Tinte:
Hab deine Nachricht bekommen, dich aber telefonisch nicht mehr erreicht. Mittwoch ab 23.00 passt gut. Freue mich.
L.
Lena ballte begeistert die Fäuste. Das hier war eine Spur – eine konkrete Spur.
Diese Nachricht stammte möglicherweise von einer Geliebten, von deren Existenz die Eltern keine Ahnung gehabt hatten.
Oder – war es ein Date ? Vielleicht nur eine gute Freundin?
Wo verlief die Grenze zwischen Freundin und Geliebter?
Hätte eine gute Freundin freue mich geschrieben? Hätte sich eine gute Freundin darauf gefreut , Sveinung Adeler um elf Uhr nachts zu treffen?
Zuerst war Adeler bei einem beruflichen Abendessen. Dann verabschiedete er sich von der Pflicht und der Arbeit.
Die mysteriöse L. musste Adelers Date gewesen sein, aber was war das für ein Date?
Lena las die Notiz noch einmal: Hab deine Nachricht bekommen . Die Wortwahl ließ darauf schließen, dass sie sich schon mehrmals getroffen hatten.
Die Dreiergruppe hatte sich vor dem Restaurant in Grefsen aufgelöst. Das Taxi hielt vor der Tür. Sveinung Adeler schlug das Angebot aus, mitzufahren. Er hatte ein Date mit L.
Aud Helen Vestgård hatte keine Ahnung von Adelers Verabredung gehabt, also hatte Adeler offenbar nichts davon gesagt. Aber konnte das bedeuten, dass die Beziehung zu der unbekannten L. geheim war? Soweit Lena wusste, konnte L. ebenso gut eine Bekanntschaft aus seinem Heimatort Jølster sein. Das würden im Zweifelsfall die Kollegen in Jølster herausfinden.
Lena erinnerte sich an die Berichte, die sie aus Jølster bekommen hatte. Sie konnte sich nicht erinnern, dass Sveinung Adelers Familie den Namen einer Freundin erwähnt hatte. Sie hatten auch niemanden aufgelistet, dessen Name mit dem Buchstaben L begann.
Lena versuchte, sich Adeler vorzustellen, der nach einem guten Abendessen spät am Abend allein in ein Taxi steigt – weil er zu L. will, die sich freut .
Wenn die mysteriöse L. eine Art Geliebte war, war es gelinde gesagt verwunderlich, dass sie sich noch nicht bei der Polizei gemeldet hatte. Adeler war spät am Abend mit ihr verabredet und endete als Wasserleiche, bevor der Morgen graute.
Diese L. musste etwas zu verbergen haben.
Und wenn L. nun gefährliche Beziehungen hatte?
Wer hatte gefährliche Beziehungen?
War L. vielleicht eine Prostituierte?
Nein, unwahrscheinlich. Sveinung Adeler hatte zweitausendzweihundert Kronen Bargeld bei sich gehabt, als er gefunden wurde. Er hatte am selben Tag dreitausend an einem Bankautomaten abgehoben. Im Verlauf des Abends hatte er etwa achthundert Kronen verbraucht – je nachdem, wie viel Bargeld er noch in der Tasche hatte, bevor er das Geld abhob. Achthundert Kronen würden für ein normales Abendessen und ein Taxi reichen – vielleicht. Das Essen war nicht sehr teuer gewesen, ohne viele Getränke. Der Kellnerin zufolge, die sie bedient hatte, hatte Adeler seinen Teil der Rechnung selbst bezahlt, und zwar in bar.
Dass Sveinung Adeler sich im Laufe der Nacht Sex gekauft hatte, war eher unwahrscheinlich. Die mysteriöse L. war wahrscheinlich keine Prostituierte.
Lena las die Notiz noch einmal. Hab deine Nachricht bekommen, dich aber telefonisch nicht mehr erreicht …
Lena hatte sich an Telenor gewandt und um eine Liste der Anrufe von Adelers Handy gebeten. Sie war noch nicht gekommen. Zeit für eine Nachfrage. Sie sah auf die Uhr. Sie hatte noch eine Verabredung. Es war an der Zeit, nach Hause zu fahren.
12
Lena rechnete damit, dass sie durch die Stadt von Tür zu Tür ungefähr zwanzig Minuten brauchen würde. Sie plante, so loszufahren, dass sie ungefähr zehn Minuten zu spät kam.
Das Auto war eiskalt, als sie sich hineinsetzte. Sie ließ den Motor im Leerlauf laufen, stieg wieder aus und kratzte das Eis von der Windschutzscheibe. Sie musste sich über die Kühlerhaube beugen und bekam Schnee und Reste von Streusalz an die Hosenbeine. Um die Salzflecken wieder abzurubbeln, nahm sie
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