Die Kommissarin und der Tote im Fjord
Warum lügt sie? Es gibt nur eine Erklärung. Sie hat eine private Geschichte mit dem Ölfonds und Polisario am Laufen. Es ist die Pflicht der Presse, solche Verhältnisse an die Öffentlichkeit zu bringen! Oder meinst du, ich sollte schweigen? Soll die Presse brav kuschen, kriechen und schnurren – nur weil Aud Helen Vestgård im Parlament sitzt?«
»Die Presse soll nicht kuschen«, sagte Lena, »aber sie ist verpflichtet, ihre Quellen korrekt zu zitieren.«
Er lächelte entwaffnend. »Das tut mir leid, und das habe ich dir schon gesagt.«
Lena wurde wieder einmal davon überrumpelt, wie schnell Steffen eine Stimmung verwandeln konnte.
Aber sie glaubte schlicht und einfach nicht an Steffens angeblichen Scoop. Sie glaubte eher an Vestgårds Version. Lena hätte Steffen gern erzählt, dass er auf einer falschen Fährte war. Sie hätte ihm gern erzählt, dass es keine heimliche Allianz zwischen Vestgård und Polisario gab, sondern dass es die Geschichte zweier verliebter Studenten und einer Schwangerschaft in Paris vor über zwanzig Jahren war, die sie verband. Aber das konnte sie nicht tun. Sie stand unter Schweigepflicht.
Hier stehen wir nun – jeder für sich allein, dachte sie. Er behält seine Geheimnisse für sich, und ich behalte meine für mich.
Sie schwiegen lange. Als Lena den Kopf hob, sah sie in seinoffenes Gesicht. »Du bist noch nicht gegangen«, sagte er zaghaft.
Sie lächelte resigniert.
»Wollen wir essen?«
Sie sah zu dem Tisch mit den Crevetten und dem Wein hinüber. Wusste tief im Inneren, dass es falsch war, sich an diesen Tisch zu setzen. Es war falsch, noch länger zu bleiben. Falsch, danach ins Bett zu gehen. Völlig falsch, dachte sie und betrachtete ihn, wie er zum Tisch ging und die Flasche öffnete.
Stumm saß sie da und sah zu, wie er den Wein einschenkte, nach beiden Gläsern griff und ihr das eine reichte.
»Skål«, sagte er leise, »auf uns.«
Lena schloss die Augen und nippte an dem Wein.
Es war Nacht. Das Licht der Straßenlaterne vor dem Fenster schien gelbgrau in den Raum.
Lena lag in Steffens breitem Bett und betrachtete die Bodendielen. Sie liefen parallel durch den Raum und wurden zur Wand hin etwas schmaler. Sie stellte sich vor, dass sie hinter der Wand weitergingen und immer schmaler wurden, bis sie sich an einem festen Punkt weit in der Ferne trafen.
Lena ließ ihren Blick die Wände entlangwandern. Betrachtete die Tür. Im Zimmer hinter der Tür ging das Licht an.
Der Türgriff bewegte sich.
Die Tür glitt auf, langsam.
Ein kleines Mädchen stand in der Türöffnung. Sie hatte geflochtene Zöpfe und trug ein zerschlissenes Kleid. Ihre Strumpfhose warf Falten um ihre dünnen Beinen. Das Mädchen winkte eifrig, wollte, dass Lena aus dem Bett aufstand. Lena sah zu Steffen hinüber. Er lag mit geschlossenen Augen und schlief. Vorsichtig erhob sie sich und schwang die Füße auf den Boden. Sie zog sich den Pullover an, der über dem Stuhl lag, und ging dem Mädchen hinterher, das schon aus der Türwar. Lena lief die Treppe hinunter. Es war kalt, barfuß zu gehen. Die Kälte zog ihre nackten Beine hinauf. Das Mädchen war ihr die ganze Zeit eine halbe Treppenlänge voraus. Als sie ins Freie kamen, knallte die Tür hinter ihnen ins Schloss. Es war eiskalt hier. Lena bat das Mädchen zu warten, aber sie lief immer nur weiter, ruderte mit den Armen und rief, Lena solle sich beeilen. Weiter hinten in der dunklen Straße leuchtete hell ein offenes Tor. Ein oranges, glühendes Licht drang heraus, als würde es dahinter brennen. Das Mädchen verschwand. Lena blieb stehen. Sie wollte nicht weitergehen, wollte nicht durch das rot glühende Tor gehen. Sie rief, dass sie nicht hineinwollte. Aber ihre Rufe ertranken im Dröhnen von Kirchenglocken. Gleichzeitig beugte sich ein Schatten über sie. Sie schrie auf.
Und erwachte.
Sie sah direkt in Steffens Gesicht. »Was ist?«, fragte sie verstört.
Er sah sie nur verwirrt an. »Es hat geklingelt«, sagte er schläfrig.
Da hörte sie das Klingeln. Ein Alarm! Ein durchdringender, schriller Ton durchschnitt den Raum.
»Es riecht verbrannt«, sagte Steffen.
Sofort war Lena hellwach. Sie sprang aus dem Bett. Zog sich Unterwäsche, Strumpfhose und Pullover an.
Er lag immer noch passiv da und sah zu ihr auf.
»Das ist ein Rauchmelder«, sagte sie. »Alarm.« Sie zog sich fertig an und öffnete die Tür einen Spalt.
Der Ton kam aus dem Treppenhaus. Im Wohnzimmer roch es noch stärker verbrannt. Sie lief durch das Zimmer in
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