Die Kommissarin und der Tote im Fjord
und legte sie wieder zurück. Die Schmutzwäsche lag in einem geflochtenen Korb. Sie nahm den Deckel ab und leerte ihn aus. Zwei Paar Jeans. Drei Trainingsanzüge, eine Menge Boxershorts, zwei Leggins und ein kleiner Haufen Socken. Sie durchsuchte alles, Stück für Stück, fasste in alle Taschen.
Sie fand nichts.
Aber wonach suchte sie eigentlich? Vor allem suchte sie nach Sveinung Adeler. Sie sah den großen, blonden Mann vor sich, der er gewesen sein musste, auf dem Sofa vor dem Fernsehersitzend, wie er aufstand und in die Küchenecke ging. Um was zu holen? Süßigkeiten?
Sie öffnete die Schubladen in der Küche – keine Süßigkeiten. Adeler war also ein Mensch ohne einen Vorrat von Chilinüssen oder Bonbons, die er sich beim Anschauen seiner Filme in den Mund schob. Er war ein Sportsüchtiger mit Willensstärke gewesen. Der Sveinung Adeler, den Lena vor sich sah, war auch ein Pedant, ein penibler Ordnungsmensch, einer, der nicht überall Zettel und Notizen verteilte oder alte Zeitungen aufhob. Einer, der jedes Ding an seinen Platz stellte, der jeden Tag Zeit und Energie darauf verwendete, aufzuräumen.
Lena dachte bei sich, dass solche Wesenszüge oft Methode haben. Viele Pedanten lösen bei anderen Irritationen aus, und ihre penible Genauigkeit wird angeprangert. Pedanten legitimieren ihren Ordnungssinn, indem sie auf ihre Effektivität und die Ergebnisse hinweisen, die sie erzielen. Aber, dachte sie – diese Abwesenheit persönlicher Merkmale in einer so privaten Sphäre wie einer Wohnung konnte in zwei Richtungen interpretiert werden. Entweder wirkte es erschreckend – oder aber es zeugte von Verletzbarkeit.
Lena schlussfolgerte, dass Sveinung Adeler auf jeden Fall in zwei fundamental verschiedenen Welten gelebt und gearbeitet hatte. Er hatte ein Zuhause, in dem sich nicht die kleinste Spur seiner Arbeit fand. In seiner Wohnung gab es keine Notizen, Terminkalender, Dokumente oder Bücher, die etwas darüber erzählen konnten, womit sich dieser Mann beruflich beschäftigte. Nicht einmal ein Gehaltsstreifen.
Sveinung Adeler trainierte viel, er nahm am Birkebeiner-Rennen teil. Aber wo waren die Skier?
Er hat einen Keller, dachte Lena, wo die Skier, die Stöcke und Pappkartons voller alter Zeugnisse, Asterix-Hefte und ausrangierter Computerspiele lagern. Aber bevor ich dort hin gehe, werde ich hier oben alles bis ins Detail durchforsten.
Im Schlafzimmer öffnete sie eine Nachttischschublade neben dem Doppelbett. Drei glänzende Zeitschriften. Eine Sports Illustrated und zwei Ausgaben des Playboy .
Lena blätterte die Seiten mit den glänzenden Fotos von Frauen durch, die sich in Korsetts, Strümpfen und Highheels auf Fellen vor Kaminen räkelten.
Dann legte sie die Zeitschriften zurück und sah unter das Bett. Kein Schuhkarton mit alten Liebesbriefen oder Fotos vom Barackenleben beim Militärdienst, gar nichts.
Sie ging ins Wohnzimmer. Stellte sich vor die Wand mit den vielen Filmen. Nahm vorsichtig die eine oder andere DVD-Hülle heraus. Alle waren geprägt vom Weltbild Hollywoods: muskulöse Männer, die durch Straßen liefen oder sich mit Revolvern in der Faust von Dächern warfen.
Sie trat ans Fenster und blickte hinaus auf ein Einkaufszentrum. Da draußen ist die Wirklichkeit, dachte sie und betrachtete die Kunden, die hinter Reihen von geparkten Autos auf dem Gehweg entlangstapften. Ein älterer Mann in einem Wintermantel mit einem unmodernen Hut auf dem Kopf schleppte zwei prall gefüllte Einkaufstüten, musste sich ausruhen und stellte die Tüten ab. Er ging weiter, traf auf den Schneewall und schaffte es schließlich, umständlich darüber hinweg zu steigen. Zuerst nur mit der einen Tüte, dann holte er die andere nach.
Lena wandte sich wieder dem Zimmer zu. Sie setzte sich auf das Ledersofa und betrachtete den breiten Flachbildschirm. Nahm die Fernbedienung und schaltete den Fernseher ein.
Auf dem Bildschirm erschien ein Kopf, ein Nachrichtensprecher von CNN.
Lena schaltete ab. Sollte sie diese Wohnung wirklich wieder verlassen müssen, ohne ein einziges kleines Geheimnis gefunden zu haben?
Was am meisten über Pedanten aussagt, sind die Dinge, diesie wegräumen, dachte sie. Sie sah in die Küchenzeile. Der leicht faulige Geruch von Abfall zeigte an, dass es dort irgendwo einen Mülleimer gab.
Lena stand auf und fand den halbvollen Mülleimer im Schrank unter dem Waschbecken.
Sie kippte den Inhalt auf die Anrichte.
Matschiger Kaffeesatz und stinkende Essensreste, Verpackungen
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