Die Kommissarin und der Tote im Fjord
an. Der Mann hatte eine Narbe auf der Oberlippe. Hasenscharte, dachte Lena. Sein Gesicht erinnerte sie an etwas. Sie durchsuchte ihre Erinnerung, ohne Ergebnis.
Die Mitteilung lautete, dass sie wieder in ihre Wohnungen zurückgehen konnten.
Eine schlaftrunkene Versammlung trottete langsam wieder ins Haus zurück. Eine ältere Frau im Pelzmantel über dem Nachthemd blieb apathisch stehen und starrte vor sich hin. Einer der Feuerwehrmänner fasste sie unter den Arm und führte sie hinein. Ein jüngeres Paar hielt sich eng umschlungen. Ein älterer Mann mit Mantel über dem gestreiften Pyjama hatte die Mitteilung nicht verstanden und fragte, was los sei.
Steffen und der Rauchtaucher mit der Hasenscharte kamen herüber. »Er sagt, dass der Rauch daher kam, dass jemand im Keller unter der Treppe in einer Zinkwanne ein paar alte Lumpen angezündet hat«, sagte Steffen.
Lena war unsagbar müde und zog die Jacke enger um ihren Körper.
»Es hätte nie ein Brand werden können«, versicherte der Rauchtaucher und ging zu dem Löschfahrzeug. Er kletterte ins Führerhaus. Der Kompressor verstummte umgehend.
Sie drehte sich zu Steffen herum. Am Abend zuvor hatte sie sich mit der Frage gequält, was sie ihm erzählen sollte. Sie hatte den Tumor mit keinem Wort erwähnt. Sie hatten kaum geredet. Sie hatte vielleicht zwei oder drei Stunden geschlafen. Der Anblick der Feuerwehrmänner, die witzelten und lachten, während sie schwere Maschinen, Gasmasken und Schutzgerät verstauten, erschien ihr unwirklich.
»Ich fahre zur Arbeit«, sagte Steffen. »Für mich ist das hier jetzt eine Story.«
Lena gähnte. Am liebsten hätte sie sich wieder ins Bett gelegt. Aber Herrgott noch mal, sie verstand ihn natürlich auch. Journalisten berichten nun mal nicht aus dem Schlafzimmer über weltbewegende Ereignisse. »Soll ich dich hinfahren?«, fragte sie und nickte zu ihrem Auto, das am Straßenrand geparkt stand.
»Kommt nicht in Frage«, sagte er. »Ich hau jetzt ab und denke mir in der Straßenbahn schlaue Formulierungen aus.«
Sie nickte.
Er räusperte sich. »Wie spät ist es jetzt?«
Sie schob automatisch den Ärmel ihrer Jacke hoch. Keine Uhr. »Liegt auf deinem Nachttisch«, sagte sie.
Er steckte eine Hand in die Tasche und zog einen Schlüssel heraus. »Hier – und wenn du schon noch mal oben bist, kannst du auch duschen und frühstücken. Wirf den Schlüssel in den Briefkasten, wenn du gehst.«
Sie nahm den Schlüssel entgegen. Blieb stehen und sah der Gestalt nach, die unter den Straßenlaternen davoneilte – ohne sich noch einmal umzusehen.
Der Motor des Feuerwehrautos heulte auf, als er davonfuhr. Sie wandte sich wieder dem Haus zu. Die Scheinwerfer waren weg. Das Nachtdunkel war zurückgekehrt. Die Leute waren hineingegangen. Die Eingangstür stand weit offen. Ein kleines Mädchen mit geflochtenen Zöpfen lief ins Haus und die Treppe hinauf. Lena lächelte und folgte ihr. Das Mädchen erinnerte sie an das Kind aus ihrem Traum.
Es fühlte sich merkwürdig an, ganz allein in Steffens Wohnung zu gehen. Sie ging langsam die Treppe hinauf. Die Fenster im Treppenhaus waren offen und sorgten für gute Durchlüftung. Dennoch hing der Geruch des Rauchs noch immer zwischen den Wänden. Es war vollkommen still. Man hätte nicht vermutet, dass die Bewohner dieses Hauses gerade aus ihren Betten gerissen worden waren.
Es war genauso still, wie wenn man den Kopf unter Wasser taucht und den Atem anhält. Als sie den letzten Treppenabsatz erreicht hatte, sah sie direkt auf die Tür zu Steffens Wohnung.
Sie hielt inne.
Die Tür war nur angelehnt.
Sie stand mit einem Fuß auf dem Treppenabsatz, mit dem anderen auf der ersten Stufe. Reckte den Hals. Die Tür stand wirklich ein paar Zentimeter weit offen.
Aber hatten sie sie nicht hinter sich zu geschlagen, als sie nach draußen gerannt waren? Wie lange war das her? Eine Stunde?
Sie wusste es nicht mehr genau, erinnerte sich nur an die Panik und das Chaos.
Langsam stieg sie die letzten Stufen hinauf. Konzentrierte sich und versuchte, zu rekapitulieren, was geschehen war:
Das dunkle Treppenhaus. Daran erinnerte sie sich. An die Dunkelheit und den dichten Rauch, die Angst, die sie mit den anderen Bewohnern geteilt hatte, die aus dem Haus stürmten.
Warum war es im Treppenhaus so dunkel gewesen? Derjenige, der die Lumpen angezündet hatte, musste das Licht ausgeschaltet haben. Jetzt leuchtete eine klägliche Deckenlampe über dem Absatz.
Sie war als Erste aus der Wohnung
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