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Die Kompanie der Oger

Die Kompanie der Oger

Titel: Die Kompanie der Oger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. Lee Martinez
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Rabe. »Die Gerüchte haben schon angefangen.«
    »Welche Gerüchte?«
    »Oh, die üblichen Spekulationen. Manche sagen, du seiest eine Hexe. Andere, ein Hexenmeister. Und manche sagen, dass du von den Göttern selbst verflucht bist, verdammt, für immer über die Erde zu wandern und Plagen und Unglück zu bringen, wo immer du vorbeigehst.«
    »Aber das war nicht meine Schuld«, sagte Ned.
    »Darum geht es nicht«, antwortete der Rabe. »Jemand muss die Schuld bekommen. Und da du verantwortlich bist, wenn auch nur indirekt, nehmen sie eben dich.«
    Die Soldaten warfen Ned missbilligende Blicke zu. Sein Blut gerann beim Gedanken an Hunderte von Ogern, die ihn sowieso nicht leiden konnten und jetzt einen Grund mehr fanden, ihn abzumurksen.
    Als hätte er seine Gedanken gelesen, sagte der Rabe: »Genau in diesem Moment überlegen sie, ob sie dich steinigen und deine Leiche vierteilen, verbrennen und als Zugabe vielleicht noch einmal steinigen sollen. Es gibt noch andere Vorschläge, aber das ist meiner Meinung nach der interessanteste.«
    Ned schloss das Fenster, verriegelte es (als ob das auch nur einen einzigen entschlossenen Oger abhalten konnte) und zog den Vorhang zu. Er setzte sich an seinen Schreibtisch, den Stab immer noch fest umklammert.
    Der Rabe schritt von einem Ende des Bücherregals zum anderen. »Ich würde jedenfalls nicht du sein wollen, Ned. Wenn je ein Mann eine Pechsträhne hatte … Zumindest sterben die anderen armen Kerle dieser Welt irgendwann einmal. Vielleicht ist an den Gerüchten ja was dran. Vielleicht bist du wirklich von den Göttern verflucht.«
    Ja, er war verflucht, stimmte Ned zu. Aber die Götter hatten nichts damit zu tun. Er selbst war es, oder das Ding, das er einmal gewesen war. Ein Teil von ihm wollte leiden. Er wusste das. Nicht nur, weil es Sinn ergab, sondern wegen der vagen Schuld, die er spürte, immer gespürt hatte, ohne dass es ihm bewusst gewesen wäre, so sehr hatte er sich daran gewöhnt. Auch wenn er jetzt nicht mehr die Irre Leere war. Auch wenn er jetzt nur ein Mensch war. Es war nicht Strafe genug. Äonen langweiliger Existenz, reichlich garniert mit hunderttausend schrecklichen, qualvollen Toden, konnten nicht genug sein. Nichts konnte das Blut von einem einzigen ausgelöschten Universum wegwaschen, noch viel weniger von Hunderten.
    Es war einfach nicht gerecht.
    Der Rabe flog vom Bücherregal und setzte sich auf den Stab. »Tja, wer hat je behauptet, das Leben sei gerecht?«
    Ned warf ihm einen finsteren Blick zu. »Hör auf, meine Gedanken zu lesen!«
    Der Rabe kicherte. »Ich lese nicht deine Gedanken, ich lese dein Gesicht. Du trägst deine Gedanken vor dir her, Ned. Kannst sie kein bisschen verstecken.«
    Ned zwang sein Gesicht zur Ausdruckslosigkeit, aber der Vogel fuhr fort.
    »Wenn das Leben gerecht wäre, würdest du schon mal gar nicht existieren. Welches Recht hast du auf Erlösung? Welches grausame, verachtenswerte Schicksal gibt dir die Möglichkeit von Glück, während gleichzeitig gute Seelen, die niemandem etwas zuleide getan haben, unter der kalten Gleichgültigkeit des Schicksals leiden?«
    »Halt den Mund!« Ned schüttelte den Stab und der Rabe hüpfte auf den Schreibtisch.
    »Es ist sowieso nicht wichtig. Nicht jetzt. Innerhalb eines Jahres wird dieses unwirtliche, unausgewogene Universum nichts als Schutt und Asche sein. Und tschüß, sage ich da nur.«
    »Wovon redest du?«
    »So wie ich es sehe«, antwortete der Rabe, »wirst du dich innerhalb dieses oder des nächsten Tages umbringen lassen. Du wirst eine Weile tot bleiben und auf meine Herrin warten, damit sie dich ins Leben zurückholt. Aber sie wird nicht kommen, und schließlich wirst du ungeduldig genug sein, um dich selbst aufzuwecken, was dich wieder zu deinem alten Selbst machen wird. Die Irre Leere wird ihr Geschäft erneut aufnehmen, und das war’s.«
    »Aber es muss doch einen Ersatzplan geben! Sie konnte nicht die Einzige sein, die auf mich aufpasst.«
    »Ich fürchte doch, Ned.«
    »Aber das ist eine … ganz schlechte Planung! Was, wenn ihr etwas passiert?«
    Der Rabe pickte an seinem Flügel herum. »Wie könnte ihr etwas passieren? Sie war praktisch unsterblich. Sie konnte nur mit ihrer Zustimmung wirklich getötet werden.«
    »Aber was ist mit den Göttern?«
    »Was mit ihnen ist? Glaubst du, einer von diesen göttlichen Angebern würde es riskieren, sich in diese Geschichte einzumischen? Sie haben Angst vor dir, Ned. Götter unterscheiden sich nicht so sehr von

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