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Die Kompanie der Oger

Die Kompanie der Oger

Titel: Die Kompanie der Oger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. Lee Martinez
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Erinnerung. Er hatte inzwischen so viele, dass eine mehr auch nichts mehr ausmachte.
    Die Rote Frau lächelte und ging davon.
    Er rief ihr hinterher: »Warum lässt du mich nicht einfach sterben?«
    Sie wandte ihr runzliges Gesicht in seine Richtung. Ihre Wangen glühten in der verblassten Dämmerung. »Weil ich eine Vision hatte, Ned. Eines Tages, in einer fernen Zukunft, wird das Schicksal dieser Welt und jeder Kreatur, die an Land geht, in den Wassern schwimmt und durch die Lüfte schwebt, von dir abhängen und von der Entscheidung, die du treffen wirst.«
    Diese Antwort hatte er nicht erwartet. Die Rote Frau hatte ihm vorher nie eine gegeben. Er fühlte sich etwas besser, als er hörte, dass es einen Grund für sein Leiden gab. Er blähte seine Brust mit einem stolzen Lächeln.
    »Ich verarsche dich nur, Ned.«
    Neds Brust und Ego fielen in sich zusammen und er ließ sich zurücksinken.
    »Manche Leute stricken. Andere spielen Karten. Ich erwecke eben die Toten zum Leben«, antwortete sie. »Mädchen brauchen Hobbys. Sonst würde ich den ganzen Tag in meiner Höhle rumsitzen und mit Zombies reden. Hast du je versucht, ein Gespräch mit einem Zombie zu führen? Sie sind furchtbar langweilig. Und es ist völlig egal, wie oft du ihnen sagst, dass dir der Geruch nichts ausmacht. Sie entschuldigen sich trotzdem die ganze Zeit. Immer und immer wieder. Sie sind so verdammt gehemmt.«
    »Entschuldigung.« Er wusste nicht so recht, warum er sich nun entschuldigte. »Aber ich hatte gehofft, du könntest einfach damit aufhören.«
    »Sie mit Schweigen strafen, meinst du?« Sie kratzte sich mit einem langen, fuchsiaroten Fingernagel die Nase. »Kommt mir kaum fair vor, sie zu diskriminieren, nur weil sie tot sind.«
    »Nein. Ich meinte aufhören, mich immer zum Leben zu erwecken.«
    »Na, das ist ja ein schöner Dank«, sagte sie zu ihrem Raben. »Die meisten Menschen würden sich glücklich schätzen, wenn sie dem Tod so oft von der Schippe gesprungen wären wie der hier.«
    »Es ist nur…« Er rang nach den richtigen Worten. »Sieh es mal so. Für einen Mann ist es doch nicht gerade natürlich, ständig zu sterben.«
    Sie stützte sich auf ihren Stab. »Was sagst du da? Willst du lieber tot sein? Ist das Grab so attraktiv?«
    »Das ist es nicht. Aber ein Mann sollte nicht mehr als einmal sterben müssen.«
    Sehr langsam schüttelte sie den Kopf. »Das ist dein Problem, Ned. Du redest immer vom Sterben. Als wäre es das Wichtigste. Ist dir schon mal in den Sinn gekommen, dass du besser daran tätest, mehr über die Zeit nachzudenken, die du unter den Lebenden verbringst und weniger über diese kurzen Momente in Gesellschaft der Toten?«
    »Sicher nicht«, stichelte der Rabe. »Ned ist kein besonders helles Bürschchen.«
    Ned griff nach dem Dolch an seinem Gürtel. Er war verschwunden. Im Lauf der Jahre hatte er der Frau mit den verschiedensten Klingen an den verschiedensten Stellen Stichwunden zugefügt, aber es schien sie nie zu kümmern. Am Raben hatte er es bisher jedoch noch nie ausprobiert. Er nahm auch nicht an, dass es funktionieren würde. Selbst wenn er den verdammten Vogel umbrachte, würde sie ihn wahrscheinlich einfach wieder aufwecken.
    »Alle Dinge sterben, Ned«, sagte die Rote Frau. »Alles muss früher oder später in der Erde vermodern. Du bist da keine Ausnahme … wahrscheinlich. Aber während wir leben, ob von Natur aus oder durch Magie, sollten wir es zu schätzen wissen.«
    »Ich weiß nicht, warum du dir Mühe gibst«, quäkte der Rabe. »Er ist eindeutig ein Idiot.«
    »Vielleicht.« Sie trat in die Nacht. Trotz ihrer leuchtenden Röte wurde sie von der Schwärze verschluckt. »Wir sehen uns, Ned.«
    Dann war sie fort. Er konnte nicht sagen, ob sie davongegangen war oder sich in Nichts aufgelöst harte. Einen Moment lang dachte er über ihren Rat nach, aber dann erinnerte ihn ein schwacher Geruch nach Erdbeeren mit Sahne daran, wie hungrig er war. Von den Toten zurückzukehren machte ihn immer hungrig.
    Die Kupferzitadelle war ein trübes Leuchtsignal in der grauen Nacht, auf das er zusteuerte. Es war eine lästige Reise. Er konnte nicht gut sehen und stolperte auf dem unebenen, felsigen Boden fortwährend. Er hatte einen Leuchtstein in seinem Beutel gehabt, als er starb, doch der war mit seinem Messer und Geld verschwunden. Er war offenbar ausgeraubt worden. Tote Männer brauchten kein Geld. Aber jetzt war er nicht tot, sondern nur pleite und blind und stolperte durch die Dunkelheit. Beinahe

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