Die Komplizin - Roman
etwas zeichnen«, schlug ich vor. »Soll ich dir einen Stift und Papier bringen? Dann könntest du ein Bild für Sally zeichnen, damit sie nicht mehr so traurig ist.«
Lola starrte mich weiter wortlos an und kaute dabei auf ihrer Unterlippe herum.
»Bald geht es ihr wieder besser«, fuhr ich fort. »Jeder muss mal weinen. Du doch bestimmt auch, oder?«
Lola trat von einem Bein aufs andere. Ihr Gesicht wirkte plötzlich sehr angespannt.
»Musst du pinkeln?«
Sie nickte.
»Komm.« Ich griff nach ihrer kleinen Hand und eilte mit ihr ins Bad.
»Brauchst du Hilfe?«
Wieder nickte sie.
Ich zog ihr die Unterhose herunter und hob sie auf den Toilettensitz. Ihre Beine baumelten in der Luft. Sie trug rote Schuhe mit gestreiften Bändern. Wir warteten. Lola schob sich einen Daumen in den Mund und betrachtete mich nachdenklich. Von nebenan drang Sallys lautes Schluchzen zu uns herüber.
Es klang mittlerweile ein wenig regelmäßiger, so dass ich mich fragte, ob ihr Heulkrampf sich langsam seinem Ende näherte.
»Fertig?«, fragte ich.
Lola schüttelte entschieden den Kopf. Drüben wurde Sallys Schluchzen schwächer, bis es schließlich ganz aufhörte. Ich hob Lola vom Toilettensitz, wischte sie trocken, zog ihr die Unterhose wieder hoch und wusch ihr anschließend mit kaltem Wasser die Hände. Als wir ins Wohnzimmer zurückkehrten, hatte Sally sich bereits aufgesetzt, den Rock über die Knie gezogen, die Bluse glatt gestrichen und sich das Haar hinter die Ohren geschoben. Ihr Gesicht wirkte vom Weinen aufgedunsen, und auf ihren Wangen prangten ein paar rote Flecken.
»Geht’s wieder?«
»Ich glaube schon. Tut mir leid. Lola?« Sie breitete die Arme aus, doch Lola, die schon wieder an ihrem Daumen lutschte, wich vor ihr zurück und drückte sich an mich. »Lola, kommst du und nimmst mich in den Arm?« In Sallys Stimme schwang eine Spur von Panik mit.
»Ich mache uns eine Kanne Tee«, verkündete ich und ließ die beiden allein.
In der Küche starrte ich durchs Fenster auf den wolkenlos blauen Himmel hinaus. Dabei fühlte ich mich so unendlich müde, dass für Gedanken oder Gefühle gar kein Raum mehr war. Nebenan hörte ich Sally und Lola murmeln. Als das Wasser im Kessel zu kochen begann, goss ich es über ein paar Teebeutel. Ganz hinten im Schrank fand ich sogar noch eine Packung Kekse. Ich trug sie zusammen mit dem Tee ins Wohnzimmer und setzte mich neben Sally aufs Sofa. Lola hockte inzwischen auf ihrem Schoß, hatte den Kopf an ihre Schulter gelegt und war bereits am Einschlafen.
»Sehe ich schlimm aus?«, fragte Sally.
»Du hast schon mal besser ausgesehen.«
Sie grinste müde. »Du auch. Man könnte meinen, du hättest die Nacht kein Auge zugetan.«
Ich wollte schon sagen, dass dem tatsächlich so war, riss mich dann aber am Riemen. Ich durfte Sally jetzt auf keinen Fall mein Herz ausschütten, denn womöglich würde ich dadurch den ersten kleinen Stein aus der Mauer ziehen und die ganze Wand zum Einsturz bringen.
Lola gab ein langes, gurgelndes Schnarchgeräusch von sich. Ich konnte richtig spüren, wie ihr Körper sich entspannte. Seufzend ließ Sally das Kinn auf den Kopf ihrer Tochter sinken.
»Ist es wegen Hayden?«, fragte ich.
»Ach, Bonnie! Wegen Hayden, Richard, dem ganzen verdammten Schlamassel … wenn du verstehst, was ich meine. Wobei ich es eigentlich selbst nicht verstehe. Das Leben ist wirklich zum Kotzen. Was habe ich da nur für ein Chaos angerichtet !«
»Es tut mir alles so leid«, antwortete ich ziemlich unpassend.
»Ich war eine Weile bei meiner Mum, aber da ging es mir ganz schrecklich. Ich konnte ihr nichts erzählen, wusste einfach nicht, wie. Dann hat die Polizei angerufen, und ich musste noch einmal zur Befragung. Mein Gott, Bonnie, das war so fürchterlich!«
»Was war daran denn so fürchterlich?«
»Die Art, wie sie mit mir geredet haben. Die ganzen Fragen. Ich habe ihnen alles erzählt.«
»Über dich und Hayden?«
»Mir blieb nichts anderes übrig. Sie taten so, als wüssten sie ohnehin schon Bescheid, und plötzlich ging mir durch den Kopf, wie kleinkariert und gefühllos es doch von mir war, mir wegen meines dummen kleinen Geheimnisses Sorgen zu machen, nachdem man ihn doch ermordet hatte. Also habe ich ihnen alles erzählt – wobei es ja nicht viel zu erzählen gab.
Auf einmal waren sie sehr interessiert. Sie taten so, als wäre ich es gewesen. Dann stellten sie mir Fragen über Richard. Ob er Bescheid gewusst, wie er reagiert habe und ob er der
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