Die Komplizin - Roman
der Verdacht auf dich fällt, habe ich alles Mögliche verändert, um den Eindruck zu erwecken, dort hätte eine wilde Rauferei stattgefunden. Oder so etwas in der Art … Ehrlich gesagt konnte ich zu dem Zeitpunkt gar nicht mehr klar denken. Später bist dann du gekommen …« Sein Blick wanderte von mir zu Sonia. »Zusammen mit Sonia hast du versucht, die Wohnung wieder so aussehen zu lassen, als wäre dort überhaupt kein Verbrechen begangen worden. Das war ziemlich dumm von euch, aber soweit ich informiert bin, hat es bis zu einem gewissen Grad funktioniert. Zumindest scheint die Polizei noch immer im Dunkeln zu tappen, wo der Mord begangen wurde. Mein Vorschlag wäre jetzt, vorzugehen wie Archäologen. Wir könnten eine Schicht nach der anderen abtragen und auf diese Weise den ursprünglichen Tatort freilegen.«
»Du willst noch einmal in die Wohnung?«
»Nein, das wäre zu gefährlich. Die Polizei weiß zwar nicht, dass der Mord dort begangen wurde, aber sie weiß sehr wohl, dass Hayden sich in der Wohnung aufgehalten hat. Wenn sie
uns drei dort erwischen, wäre das … nun ja, nicht einfach zu erklären. Aber wir könnten versuchen, das Ganze im Geist zu rekonstruieren.«
Sonia wirkte skeptisch.
»Mir ist nicht recht klar, wie das funktionieren soll.«
Neal stand auf und durchwühlte eine Schublade nach Stiften. Anschließend riss er von einem Notizblock mehrere Blätter ab und reichte Sonia und mir ein paar davon, außerdem je einen Stift.
»Was sollen wir damit machen?«, fragte Sonia. »Ein Diagramm zeichnen?«
»Das wäre zu schwierig. Außerdem wüsste ich auch gar nicht, was es darstellen sollte. Nein, lasst uns damit anfangen, dass wir alle drei sämtliche Gegenstände aus der Wohnung notieren, die uns in Erinnerung geblieben sind. Jedes einzelne Ding. Sobald wir die Listen fertig haben, können wir gemeinsam überlegen, wo sich die Sachen jeweils befanden, und somit feststellen, ob das, woran ihr euch erinnert, mit dem übereinstimmt, woran ich mich erinnere und … und …«
»Und dann was?«, fragte ich.
»Auf diese Weise können wir den Tatort rekonstruieren.«
»Und dann?«
»Keine Ahnung.« Neal rieb sich die Augen und wirkte für einen Moment recht niedergeschlagen. »Schwer zu sagen. Wenn wir eine Lis te mit möglichst vielen Gegenständen zusammenstellen und diese Gegenstände dann in der Wohnung platzieren, ergibt sich womöglich irgendein Muster. Wenn wir schon vorher wüssten, was dabei herauskommt, könnten wir uns die ganze Aktion ja sparen.«
»Ich bin nicht sicher, ob überhaupt etwas dabei herauskommen wird«, wandte Sonia ein.
»Es ist zumindest einen Versuch wert.«
»Und du glaubst wirklich, wir können den Tatort aus dem Gedächtnis rekonstruieren?«, fragte ich.
Neal schlug mit der Faust auf den Tisch. »Was bringt es uns, wenn wir jetzt des Langen und Breiten darüber diskutieren, ob wir es können oder nicht? Lass es uns verdammt noch mal einfach probieren.«
Ich sah Sonia an. »Du bist bestimmt gut in solchen Dingen.«
»Am besten, wir halten jetzt alle den Mund«, meinte Neal, »und fangen an zu schreiben.«
Ich griff nach meinem Stift und starrte auf das leere Blatt. Nachdenklich strich ich es glatt, als könnte mir das irgendwie weiterhelfen. Einen Moment war mein Kopf genauso leer wie das Blatt. Ich schloss die Augen und versuchte mich zu erinnern, mich zurück in den Raum zu versetzen. Das war für mich insofern besonders schwierig und schmerzhaft, als ich zuvor wochenlang versucht hatte, genau diese Erinnerungen in einen Winkel meines Gehirns zu verbannen, in den ich mich eigentlich nie wieder begeben wollte. Es war, als müsste ich mit Gewalt die verklemmte alte Tür zu einem Raum öffnen, den ich lange nicht mehr betreten hatte. Plötzlich aber ging die Tür mit einem Ruck auf, und ich war am Ziel. Allerdings nahm ich meine Umgebung zunächst sehr bruchstückhaft und verschwommen wahr, so dass ich nur wenige Gegenstände erkennen konnte. Ich begann zu schreiben. Da waren die CDs, einschließlich der von Hank Williams, die ich dann wieder mit nach Hause genommen hatte. Auf dem Tisch stand die grüne Plastikschildkröte, die als Behälter für Stifte diente, und daneben eine kleine Dose mit Büroklammern. Auf dem Boden lag ein Kissen, außerdem die umgekippte Vase samt den Tulpen. Die Einladung zur Hochzeit, die ich ebenfalls mitgenommen und entsorgt hatte. Und die zertrümmerte Gitarre sowie ein paar Bücher. Mein Schal. Je krampfhafter ich mich zu
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