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Die Komplizin - Roman

Die Komplizin - Roman

Titel: Die Komplizin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag <München>
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informierte er mich. »Wir haben einen Warteraum.«
    »Ich finde mich schon zurecht.«
    Während der nächsten halben Stunde ließ ich mich in einem Teil von London, in dem ich noch nie gewesen war, von der
Morgensonne wärmen und sah die jungen Männer erledigen, was eigentlich Sonia und ich hätten tun sollen, nämlich jede Oberfläche schrubben, alle Teppiche saugen und jede Menge Müll entsorgen, den zum Teil wohl wir  – oder wahrscheinlich eher ich  – zurückgelassen hatten, ohne es zu merken. Noch besser war, dass sich die Männer in einer Sprache unterhielten, die ich nicht verstand. Vielleicht waren es sogar mehrere verschiedene Sprachen. Ich kannte Orte wie diesen: Hier arbeiteten nur Einwanderer, die sich erst seit Kurzem im Land aufhielten. Die Löhne waren niedrig, niemand stellte Fragen, und das Personal wechselte ständig. Kein Mensch würde sich an mich erinnern. Falls die Polizei jemals hier auftauchte und Fragen stellte, waren diese Männer längst nicht mehr da. Niemand würde sich der Frau aus dem nicht existenten Spalsboro Sports Club entsinnen.
    Ich zog meine Handschuhe wieder an und fuhr weg, bog aber bereits nach ein paar hundert Metern links in eine belebte Straße mit etlichen heruntergekommenen Internetcafés, kleinen Läden, die billige Schirme verkauften, Gemüsehändlern, die Schälchen mit Früchten anboten, deren Namen ich nicht kannte, einem sehr schäbig wirkenden Tierpräparator, einem Friseur, einer Eisenwarenhandlung und einem Laden, in dessen Schaufenster sich Käfige mit Hamstern, Kanarienvögeln und Wellensittichen stapelten. Es war eine arme, aber sehr belebte Gegend  – und somit perfekt für meine Zwecke. Ich parkte hinter einem weißen Lieferwagen, aus dem gerade Kisten mit Limonade ausgeladen wurden. Nachdem ich mich erneut vergewissert hatte, dass keinerlei belastende Indizien mehr auf den Sitzen herumlagen, stellte ich den Motor ab, ließ jedoch den Schlüssel stecken. Rasch stieg ich aus und eilte so lässig wie möglich davon. Nun brauchte nur noch jemand kommen und das Auto stehlen. Das würde bestimmt nicht lange dauern.
    Eigentlich hatte ich vorgehabt, sofort nach Hause zu fahren, stellte aber plötzlich fest, dass ich mich schrecklich erschöpft
fühlte. Außerdem war mir vor Hunger oder Angst derart schwummrig, dass ich kaum noch einen Fuß vor den anderen setzen konnte. Mühsam stolperte ich die Straße entlang, bis ich ein Café mit zwei Fenstertischen und einer Theke voller Doughnuts und anderem Gebäck entdeckte. Nachdem ich mir dort eine Tasse Tee und einen Blaubeermuffin bestellt hatte, ließ ich mich an einem der Tische nieder. Der Tee war lauwarm und so abgestanden, dass ich ihn in schnellen kleinen Schlucken hinunterstürzte. Der Muffin schmeckte wie Sägemehl, doch der Zucker darin verlieh mir neue Kraft.
    Draußen vor dem Fenster ging das Leben weiter. Ich sah Frauen mit Kleinkindern im Schlepptau, kichernde Teenager und Männer, von denen manche ganz gemächlich dahinschlenderten, während andere schnell und zielstrebig ihrer Wege gingen. Auf der Straße drängten sich so viele Autos, dass der Verkehr stockte. Natürlich befanden sich auch Motorräder und Lastwagen darunter und  – ich blinzelte überrascht, doch es bestand kein Zweifel  – ein Abschleppwagen, der einen rostigen alten Rover aufgeladen hatte: Haydens Rover. Den Rover, den ich mit dem Schlüssel in der Zündung zurückgelassen hatte, damit ihn jemand stahl. Wie war das möglich? Sie hatten nicht mal eine halbe Stunde gebraucht, um ihn abzuschleppen. Hatte ich ihn etwa im absoluten Halteverbot stehen lassen? Das konnte doch wohl nicht sein. Statt von einem Dieb ein falsches Nummernschild verpasst zu bekommen, wurde der Wagen nun von der Verkehrspolizei abgeschleppt. War damit alles zunichte gemacht? Vielleicht nicht, dachte ich plötzlich. Vielleicht hatte ich sogar eine besonders gute Möglichkeit gefunden, den Wagen loszuwerden. Oder war das Ganze eine Katastrophe? Ich konnte es nicht sagen, und ändern konnte ich es auch nicht mehr. Dafür war es nun zu spät.
    Ich brauchte etwa eine Stunde bis nach Hause. Dort zog ich meine schrägen Klamotten aus, schlüpfte in etwas Anständiges und machte anschließend einen Spaziergang durch Camden,
wo ich Hose, Sweatshirt und Handschuhe in vier verschiedenen Mülltonnen versenkte. Dann rief ich äußerst widerstrebend Sonia an und erklärte ihr, wir müssten uns dringend sehen, aber sie solle sich keine Sorgen machen. Als

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