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Die Konkubine

Die Konkubine

Titel: Die Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gabriel
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befohlen, seinen Zweitgeborenen unverletzt zurückzubringen. Koste es, was es wolle. Was mit ihr geschah, war ohne Belang. Sie konnte nur in eine Richtung geflohen sein, zu ihrer Freundin Chen Meili. Sonst hatte sie niemanden. Bei diesem Gedanken krampfte sich sein Magen zusammen. Warum nur hatte sie nicht mit ihm gesprochen, ihm nicht vertraut? Was war geschehen? Es sah ihr nicht ähnlich, einfach so zu verschwinden.
    Der schwere Unfall seines ersten Sohnes belastete ihn ebenfalls. Youren schien sich nur langsam zu erholen. Ob die Flucht Mulans und der Unfall zusammenhingen? Nein, das konnte nicht sein. Sie war keine hinterhältige Frau. Er traute es ihr nicht zu, Pläne zu schmieden, um Youren aus dem Weg zu räumen, damit für Tongren der Weg zum Erbe frei wurde.
    Er wollte seinen zweiten Sohn zurück. Sie hatte sein Wohlwollen verwirkt. Er hatte an Chen Meili geschrieben und sie davor gewarnt, die Flüchtige zu verstecken. Nun wartete er auf ihre Antwort. Vielleicht wusste die Tänzerin, wo Mulan steckte. Falls sie es wusste, so konnte er nur hoffen, dass sie im eigenen Interesse klug genug war, sie zu ihm zurückzuschicken. Der Arm von Yuan Shikai reichte weit – und er kannte kein Erbarmen.
    Liu Guangsan riss sich zusammen. Jetzt war nicht die Zeit, über persönliche Probleme nachzudenken. Sie hatten andere Dinge zu regeln. Erst gestern war wieder ein Trupp chinesischer Flüchtlinge aus Lüshun eingetroffen – Port Arthur, wie die Europäer sagten. Die völlig verängstigten und erschöpften Leute hatten nur noch retten können, was sie auf dem Leib trugen. Sie mussten untergebracht und versorgt werden.
    Die Runde der chinesischen Kaufleute beschloss, dass Liu einen Besuch bei Gouverneur Truppel machen sollte. Es war unabdingbar, sich abzusprechen und möglichst an einem Strang zu ziehen. Keine der beiden Parteien konnte ein Interesse daran haben, dass die Provinz Shandong in den Streit zwischen Russland und Japan hineingezogen wurde. Es war klar, die Deutschen befanden sich in einer heiklen Lage. Sie mussten auf strengste Neutralität achten und gleichzeitig ihre Feinde und Neider sowie diejenigen in Schach halten, die hofften, von der unweigerlich entstehenden Unordnung profitieren zu können. Die Engländer beäugten schon lange misstrauisch, was sich in der jungen deutschen Kolonie am Gelben Meer tat. In gewisser Weise waren Truppel die Hände gebunden. Er würde also für jede Unterstützung seitens der Kaufleute dankbar sein. So hielt er sich wenigstens nach innen den Rücken frei.
    In seinem Haus angekommen, beauftragte Liu Guangsan sofort einen Diener, dem deutschen Gouverneur seine Visitenkarte zu überbringen. Er wusste, daraufhin würde ihn bald eine Einladung erreichen. Dann ließ er den Arzt kommen. Dieser untersuchte seine Augen und fühlte den Puls. Anschließend erklärte er dem Maiban, dass sein Yin und Yang völlig aus der Harmonie geraten sei und üble Säfte in seinem Körper tobten, Dämonen, die ihn schwächten.
    «Was soll ich tun?»
    Der Arzt wiegte gewichtig den Kopf hin und her und rief seinen Gehilfen. Der brachte eiligst ein Kästchen herbei, in dem sich die verschiedensten Arzneien befanden. Knochen, Zähne, Krallen, Haare, gemischt mit getrocknetem Katzenfötus oder pulverisiert und aufgelöst in Gelatine, die aus dem Knorpel eines Tigerknochens gewonnen worden war. Diese Mixtur galt als ein vorzügliches Heil- und Stärkungsmittel, sogar noch besser als Gallerten, die aus Esels- und Ochsenhäuten hergestellt wurden. Dann empfahl er Liu etwas verlegen, sich die Gallenblase von einem Tiger oder einem Löwen zu besorgen, das gab Mut. Als Letztes riet er ihm, sich an einen Zauberdoktor zu wenden. Diese standen in Verbindung mit der Welt der Geister und Dämonen und hatten unfehlbare Heilmittel – besonders gegen bestimmte Schwächen, die einen Mann manchmal heimsuchten.
    Und sie waren teuer. Nur Leute wie der Maiban konnten sich deren Medizin leisten. Denn nur zweimal im Jahr hatte ein solcher Doktor die Möglichkeit, in den Besitz dieser unfehlbaren Geistermedizin zu kommen: in der Neujahrsnacht sowie am 5. Tag des 5. Monats um Mitternacht. Die Zubereitung der Medizin blieb immer ein streng gehütetes Geheimnis.
    Liu beschloss, dem Rat des Arztes zu folgen. Doch im Grunde war ihm klar, dass er nur eine Medizin brauchte, um seine Manneskraft wiederzugewinnen: Mulan. Es war noch nicht lange her, da hatte er gedacht, ihr Schicksal sei ihm gleichgültig. Doch in seinem Innersten

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