Die Konkubine
wusste er, er musste sie wiederhaben, herausfinden, warum sie fortgegangen war. Er schämte sich für seine Schwäche.
Ob dieser Ge Kangle etwas über ihren Verbleib wusste? Seine Spione hatten ihm berichtet, wie der Deutsche Mulan angesehen hatte, wenn sie sich trafen. Liu hatte nichts dagegen tun können. Das war ja so gewollt. Ein verliebter Mann war besser auszuhorchen. Er war sehr erleichtert gewesen, als sich herausstellte, dass die Treffen nicht mehr nötig waren. Denn er hegte den Verdacht, dass auch Mulan eine gewisse Sympathie zu diesem Soldaten entwickelt hatte.
Konrad fragte sich später noch oft, ob alles anders gekommen wäre, hätte es diese Begegnung nicht gegeben. Truppel hatte zur Krisensitzung geladen, und er war zum Wachdienst vor dem Versammlungsraum eingeteilt. Er war am Meer gewesen und hatte sich gerade auf den Weg gemacht. In Gedanken versunken, in deren Zentrum wieder einmal Mulan stand, bemerkte er den Tross Liu Guangsans beinahe nicht, obwohl die Diener, die der Sänfte vorausliefen, ein Mordsspektakel veranstalteten, um dem Maiban den Weg frei zu machen. In Tsingtau brüllte immer jemand. Dazu kam der Lärm der Baustellen. Beinahe hätten die Sänftenträger ihn überrannt. Die Diener Lius hatten es dann doch nicht gewagt, einen deutschen Soldaten zur Seite zu treiben. Liu ließ rechtzeitig anhalten. Er entschuldigte sich für das ungebührliche Verhalten seiner Dienstboten. Sein Leibdiener übergab Konrad auf den Wink des Kompradors hin eine Visitenkarte. Konrad bedankte sich höflich und versuchte, seine Verblüffung zu verbergen. Was wollte Liu von ihm? Sollte er bei ihm musizieren? Er war entschlossen, die Einladung anzunehmen. Vielleicht konnte er dann endlich herausfinden, wo Mulan steckte. Er hatte seit Wochen nichts mehr von ihr gehört. Auch Richard Wilhelm und Tang wussten nichts über ihren Verbleib. Er hatte Angst um sie.
Konrad ahnte nicht, dass Wang Zhen, der Chinesenpolizist Nummer 11, Beobachter dieses kurzen Austausches gewesen war. Eigentlich hatte er den Deutschen ansprechen wollen. Doch nun wusste er nicht, was er tun sollte. Gab es eine Verbindung zwischen dem Deutschen und dem Maiban, von der Mulan nichts wusste? Wollte sie vielleicht deshalb nicht, dass er Herrn Ge um Hilfe bat? Falls der Deutsche dem Herrn Liu verriet, wo sich dessen Konkubine aufhielt, dann würde es gefährlich für die Frau.
Dennoch, er musste etwas unternehmen. Er konnte sie nicht mehr lange in seinem Haus beherbergen. Das gefährdete auch seine Familie. Andererseits schuldete er der Frau einen Gefallen. Sie hatte ihm Medizin geschickt und den Arzt bezahlt, als sein kleiner Sohn krank gewesen war. Wang war noch immer unschlüssig. Doch an wen sollte er sich sonst wenden? Seine Erfahrung mit Ge Kangle hatte ihn gelehrt, dass der Soldat mit keinem der Mächtigen auf vertrautem Fuß verkehrte. Außerdem hielt er viel von ihm. Dieser Mann hatte einen anständigen Charakter. Deswegen beschloss er schließlich, sich über Mulans Verbot hinwegzusetzen.
Wang hatte lange überlegt, wie er den Deutschen zum Mitkommen überreden könnte, und war schließlich auf die List verfallen, ihm einen Brief vorzulegen, den angeblich die Frau geschrieben hatte. Ge Kangle würde mit ziemlicher Sicherheit nicht erkennen, dass die Zeichen von einer anderen Hand stammten. Er zögerte noch einmal. Doch, er musste es wagen.
Konrad war zunächst erschrocken, als sich von hinten eine Hand auf seine Schulter legte. «Wang Zhen, die halbe Polizeistation sucht nach dir! Wo hast du gesteckt?»
Wang hatte die Stirn gerunzelt. «Bei meiner Familie», beschwor er ihn, «Soldat, du mit mir kommen. Sehr dringend, Leben und Tod.»
«Das kann ich nicht, Wang, ich habe Wachdienst. Aber danach. Was ist denn geschehen?»
Wang Zhen schüttelte den Kopf. «Ich kann nix sagen, nur das», mit diesen Worten überreichte er Konrad einen Zettel, der offenbar aus einem Notenbuch herausgerissen worden war. Auf seinem Rand stand in ungelenken lateinischen Buchstaben gekritzelt. «Hilfe. Mulan.»
Der Schock war so groß, dass er zunächst völlig verständnislos auf die Buchstaben starrte. «Hilfe.» Langsam dämmerte ihm, dass das ein wirklich dringender Hilfeschrei war, anderenfalls wäre sie niemals das Risiko eingegangen. Mulan brauchte ihn. Sein Gehirn begann fieberhaft zu arbeiten. «Wo ist sie?»
«Weit weg.»
Was sollte er nur tun? Er war zum Wachdienst eingeteilt, er konnte nicht einfach fort. Es sei denn – er beschloss,
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