Die Konkubine
ändern.»
«Aber warum? Warum ist sie so einfach verschwunden?»
Er konnte die Miene von Tang nicht deuten. Aber seine Stimme klang mitfühlend, als er antwortete: «Das weiß ich nicht. Sie hat es mir nicht gesagt.»
Also stimmte es, was er so sehr fürchtete. Sie wusste, dass er sie an die Deutschen verraten hatte. Wenn er sie nur einmal sehen, alles erklären könnte, dann würde sie es vielleicht verstehen! Bestimmt würde sie das. Gleichzeitig gab es nichts, wovor er mehr Angst hatte, als ihr wieder zu begegnen und Abscheu in ihren Augen zu lesen.
Tang unterbrach seine Gedanken. «Es ist besser so. Ich glaube nämlich, du wirst beobachtet, mein Freund. Dahinten sehe ich einen von Lius Leuten, und in der Hausecke, versteckt im Schatten, einen von deinen. Vermutlich hoffen sie, dass du sie zu Mulan führst.»
Konrad drehte sich um. «Ich sehe niemanden.»
«Das gelingt wohl nur einem geschulten Auge. Glaub mir, Kangle, sie sind da. Sie ist in großer Gefahr.»
«Wie geht es ihr? Ist sie gut untergekommen? Ist sie sicher?»
«Mach dir keine Sorgen. Ja, sie ist sicher. Auch ihrem kleinen Sohn geht es gut.»
«Aber dein Vater, ich meine, Mulan fürchtete sich davor, dass dein Vater und du sie in das Haus des Kompradors zurückschicken würdet.»
«Das würde ich nie tun. Sie ist eine von uns. Mein Vater weiß von nichts.»
«Tang, was heißt: von uns?»
«Sie ist eine von jenen Frauen und Männern, die auf einen Umsturz hinarbeiten, für ein neues, starkes China kämpfen. Wir sind viele. Wir werden es schaffen.»
«Soll das heißen, du bist ein Rebell, ein Aufrührer?»
Der Freund lachte, es wirkte allerdings ein wenig gezwungen. «Aus der Sicht der Mandschu, die unser Land seit so vielen Jahren beherrschen, und manchem Anderen mag das so sein. Sogar aus der Sicht von vielen, die diese Fremdherrschaft beenden und eine han-chinesische Dynastie an die Macht bringen wollen. Es gibt aber auch Menschen wie wir, die wollen ein neues, ein völlig anderes China. Ein China des Volkes, der einfachen Arbeiter und Bauern.»
«Willst du mir nicht davon erzählen?»
«Das ist nicht für dich bestimmt, Kangle, auch wenn viele der Ideen aus dem Westen kommen.»
«Bitte – wie soll ich sonst verstehen lernen!»
«Es gibt, glaube ich, eine Redewendung bei euch. Sie besagt, manche Westler werden einen Chinesen niemals verstehen. Andere denken und leben am Ende chinesischer als die Chinesen selbst. Ich glaube, du wärst einer von diesen. Falls du länger bliebst.»
«Vielleicht bleibe ich ja länger.»
«Nein, Kangle, das tust du nicht.» Die Antwort klang scharf, wohl selbst in Huimins eigenen Ohren, denn er lenkte ein. «Also gut, ich werde versuchen, es dir zu erklären. Erinnerst du dich an unser Gespräch damals am Strand, als ich dir sagte, dass ihr hier nichts verloren habt? Wir sind inzwischen Freunde geworden, doch dabei bleibe ich. Als Gast bist du mir willkommen. Aber nicht als Soldat. Kehre in einigen Jahren wieder, dann, wenn wir unser neues China aufgebaut haben. Ich werde mich freuen, dich wiederzusehen. Als einen Freund.
Doch als einer der Besatzer bist du hier nicht erwünscht, und daran wird sich nichts ändern, egal, wie lange ihr Deutschen bleibt, und egal, wie freundlich die Mienen meiner Landsleute auch sein mögen. Ihr werdet ebenso gehen wie alle anderen, es ist nur eine Frage der Zeit. Und wir werden in China niemals wieder eine Fremdherrschaft dulden.»
«Was heißt das? Ich verstehe immer noch nicht. Wer ist wir? Was haben Mulan und du damit zu tun?»
«Wusstest du, dass Mulan die Schwester eines der Männer der Wuxu-Reform ist? Song Gan war der Schüler und Freund von Tan Sitong, einem der Berater des Kaisers.»
«Du meinst die Reformer um Kang Youwei und Liang Qichao?»
«Ah, du bist gut informiert. Tan Sitong und Song Gan fehlen uns sehr.»
«Wieso sagst du: war?»
«Mulans Bruder Gan ist tot, hingerichtet, ebenso die Berater. Ihre ganze Familie ist umgekommen. Unter den sechs Märtyrern war übrigens auch Kang Youweis jüngerer Bruder. Kang selbst konnte mit Liang Qichao fliehen. Doch ich halte Kang eigentlich für einen Konservativen. Auch wenn er angeblich die große Gerechtigkeit für alle anstrebt. Wir brauchen auch keinen Kaiser mehr, sondern eine gerechte Führung, die die Menschen nicht ausbeutet.»
Noch ein grausiges Detail aus Mulans Leben. Konrad fragte sich, ob Tang auch von den Geschehnissen während des Boxeraufstandes wusste. Wenn nicht – nun, es war nicht sein
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