Die Konkubine
hatte ihm das Leben gerettet, das sagte sie sich immer wieder. Aber auch diese Gewissheit half ihr nicht, sich besser zu fühlen. Ihre Schuld blieb. Sie wusste davon. Und deshalb stand diese Sache für immer zwischen ihnen. Sie hätte mit seiner Verachtung nicht leben können. Sie war nicht die, für die er sie hielt. Aber er sollte sich für immer so an sie erinnern.
Als Konrad erneut an der Tür von Wang Zhen klopfte, waren Mulan, ihre Amah und ihr Sohn schon fort.
«Wo ist sie?» Er konnte seine Angst um sie und die Verzweiflung über ihr Verschwinden nicht verbergen.
Wang zuckte die Schultern, sein Gesicht war verschlossen. «Ein junger Chinese hat sie abgeholt. Amah hat ihn hergebracht. Frau wollte erst nicht, ist aber dann mitgegangen.»
«Ein junger Chinese? Wer?»
Erneut erntete Konrad ein Achselzucken. «Chinese eben.»
«Wang Zhen, wie sah er aus?»
«Wie junger Chinese! Alle Chinesen sehen gleich aus, nicht wahr?»
Konrad begriff die Ironie, doch er wollte noch nicht aufgeben.
Er schüttelte ihn. «Wang, du kennst ihn! Sag mir, wer es ist!»
Wang blieb ungerührt. «Nein, dieser Chinesenpolizist kennt ihn nicht.»
Er log. Vielleicht meinte er es sogar gut, wollte Mulan beschützen. Konrad war klar, dass er nichts weiter erfahren würde. So ritt er unverrichteter Dinge zurück.
Fauth lachte, als er hörte, dass Mulan verschwunden war. «So, dann haben Sie ihre kleine Freundin also verloren, Gabriel.» Konrad widersprach dieses Mal nicht. Es stimmte ja.
Seine Nachforschungen nach Mulan liefen immer wieder ins Leere. Wang Zhen, der wieder im Dienst aufgetaucht war – mit einer weitschweifigen Geschichte von diversen kranken Familienmitgliedern –, blieb bei seiner Version. Er ertrug die Prügel zur Strafe für sein Fernbleiben vom Dienst klaglos und wurde dann wieder in die Reihen der Chinesenpolizei aufgenommen. Auch Richard Wilhelm, der Mann mit den guten Verbindungen bis in höchste chinesische Kreise, wusste nichts vom Verbleib Mulans.
Schließlich war Konrad davon überzeugt, dass sie nicht gefunden werden wollte. Dass sie von seinem Verrat an ihr erfahren haben musste. Er hatte sich noch niemals so elend gefühlt. Nächtelang grübelte er, wo sie sein konnte, und hatte gleichzeitig doch panische Angst davor, ihr jemals wieder unter die Augen zu treten. Wie sollte er ihre Verachtung ertragen? Sie musste ihn hassen.
Er log nicht, als er einige Tage später Liu besuchte und ihm antwortete, dass er nichts über Mulans Aufenthaltsort wisse. Doch warum erkundigte sich der Komprador ausgerechnet bei ihm?
«Vielleicht haben Sie ja bei Ihren Chinesischstunden oder bei Richard Wilhelm etwas gehört. Oder bei einem Ihrer Auftritte», erklärte Liu ausweichend. Er sah krank aus, hatte tiefe Ringe unter den Augen. Alt. Ja, der Komprador war alt geworden.
Konrad gab sich mit der Antwort zufrieden. Vielleicht wollte Liu nicht, dass jemand von den anderen chinesischen Kaufleuten vom Verschwinden seiner Nebenfrau erfuhr, und fragte ihn deshalb. Ihn, einen unbedeutenden Soldaten. Doch Mulans Flucht hatte sich längst herumgesprochen.
Es war Juni geworden. Wieder einmal packte Konrad nach einem Auftritt sein Instrument ein. Wieder einmal genehmigte er sich ein kleines Schwätzchen mit Eugen Rathfelder. Beide waren müde nach den ganzen Feierlichkeiten anlässlich der Fertigstellung der letzten Strecke der Schantung-Eisenbahn. Am 15. Mai war der erste Zug mit großem Getöse und viel Rauch in die Endstation von Tsinanfu-Ost eingefahren, empfangen von festlich gekleideten Frauen, Männern mit Zylinder, Mädchen in weißen Kleidern, die mit Fähnchen winkten, und Jungen mit Matrosenkragen. Bei der Einfahrt hatte die Kapelle des III. Seebataillons einen Marsch geschmettert. Die Musiker hatten sich dafür an den Fenstern eines der Waggons postiert. Nun, etwa zwei Wochen später, wiederholte sich das Spektakel bei der Eröffnung der Zweiglinie nach Poschan.
Eugen Rathfelder wies auf einige der Arbeiter, die dem Spektakel durchaus nicht freudig folgten. «Nun müssen sie sehen, wovon sie leben.»
Konrad Gabriel nickte. «Ich frage mich, wo die Menschen jetzt bleiben, es waren Tausende.»
«Ich vermute, sie gehen zurück zu ihren Familien. Sie haben bei den Deutschen ja gut verdient.»
«Gut verdient? Das glaubst du ja selbst nicht.»
«Nun, ich bin überzeugt, wenn es sich nicht gelohnt hätte, wären sie auch nicht gekommen. Die Arbeiter strömen doch nur so in die Kolonie. Immerhin haben sie
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