Die Konkubine
Staatskontrolle ausüben? Dass alle Güter Staatseigentum werden?»
«Tang, das führt in die Anarchie!»
«So, glaubst du? Warum? Natürlich wird dieser Umbruch auch Opfer kosten. Die Ewiggestrigen gehen nicht freiwillig. Doch wir stehen nicht allein. Auch in Russland gibt es Menschen, die den Zaren lieber heute als morgen absetzen würden. Und Russland ist nicht weit. Es brodelt in diesem Reich ebenso wie in China. Ich vermute, dass den Russen der japanische Angriff sogar ganz gelegen kam, um von den eigenen Problemen im Innern abzulenken. Doch das wird ihnen nicht gelingen. Nicht mehr lange und auch dort werden die Menschen bald das Recht einfordern, in Würde zu leben. Auch die Frauen. Mulan ist in dieser Sache an meiner Seite.»
«Das ist ja unglaublich! Du sprichst von der Freiheit Europas. Doch wenn ich dir folgte, dann müsste ich in meinem Land für die Abschaffung der Monarchie kämpfen. Bei uns gilt das als Hochverrat.»
«Bei uns auch, Kangle. Es gibt allerdings einen großen Unterschied. Deine Nation ist jung. China kannte Jahrtausende lang nichts anderes als dieses System, in dem die Lehren des Kong Fuzi die Basis bildeten, auf die der Sohn des Himmels seine Macht gründete. Wir wollen ein China mit freien, gleichen Menschen, die genug zu essen haben und glücklich leben können.
Ich wurde auch dein Freund, um besser verstehen zu können, wie ihr die Dinge handhabt. So, wie du mit mir geredet hast, um China besser zu begreifen. Dieser Marx ist doch ein Sohn deines Volkes. Vielleicht sind wir einander näher als du glaubst. Vielleicht ist auch in deinem Land die Veränderung näher als du ahnst.»
«Das heißt, ihr plant die Revolution. Ich sage es noch einmal, wenn du entdeckt wirst, bedeutet das den Tod. Für dich – und für Mulan.»
«Ja, doch wir fürchten uns nicht davor. Denn nach uns werden andere kommen, dann wieder andere. Nur das Ganze zählt, der Einzelne ist nichts. Es ist wie bei einem Baum. Jedes Blatt hilft, den Baum zu nähren. Doch wenn es abfällt, bedeutet das nicht den Tod des Baumes. Es wachsen neue Blätter nach.»
«Willst du damit sagen, dass Zeit keine Rolle spielt, dass es nicht wichtig ist, wer am Ende die Veränderung erreicht?»
«Nicht ganz, und doch hast du in gewissem Sinne recht. Je schneller wir vorankommen, umso schneller wird es für die Menschen Verbesserungen geben. Andererseits – was ist schon Zeit? Wir Chinesen haben gelernt zu warten. Von manchen Europäern wird uns das als Passivität ausgelegt. Doch ich bezeichne die Fähigkeit zur Geduld als unsere größte Stärke.»
Konrad senkte den Kopf. Mulan würde nicht mit ihm gehen. Egal, ob sie ihm nun verzieh oder nicht. Sie hatte sich einem Kampf verschrieben, der über das hinausging, was sie und ihn verband. Sie wäre nicht die Mulan, die er liebte, würde sie anders handeln. Der Gedanke, ohne sie zu leben, tat weh, fast mehr, als er ertragen konnte. Er würde es um ihretwillen versuchen. So gut er konnte.
«Sind wir nun Feinde oder Freunde, Tang?»
«Ich bin der Feind des Gefreiten Gabriel. Doch wenn du eines Tages zurückkommen willst, mein Freund Ge Kangle, um dir dieses neue China anzuschauen, das wir schaffen werden, dann will ich es dir gerne zeigen. Du bist in meinem Haus immer willkommen.»
Am 10. August 1904 begriff Konrad zum ersten Mal wirklich die Grausamkeit des Krieges. Russische Schiffe hatten wieder einmal versucht, aus Port Arthur zu entkommen. Die Flotte des japanischen Admirals Togo schoss eine Breitseite nach der anderen. Der Kreuzer Novik und drei Torpedoboote flüchteten in den Schutz des Hafens von Tsingtau.
Die Tsingtauer erlebten eine unruhige Nacht. Im Hauptquartier des Gouverneurs Truppel und auch unter der Bevölkerung herrschte helle Aufregung. Die Telegrafendrähte liefen heiß. Auch nach dem Wachdienst bekam Konrad keine Verschnaufpause. Er hechtete mit einer Nachricht nach der anderen hin und her. Was war zu tun? Wie sollten sich die Deutschen verhalten angesichts dieser schwer beschädigten russischen Schiffe mit den stöhnenden Verwundeten an Bord, die wie Geister aus der Hölle plötzlich in der Bucht von Kiautschou aufgetaucht und dann in den Hafen eingelaufen waren?
In den frühen Morgenstunden des 11. August wurde auch die Zessarewitsch am Horizont vor den Schantungbergen gesichtet. Sie befand sich in einem üblen Zustand, das konnten die Wachposten durch ihre Fernrohre gut erkennen. Die Schiffsschornsteine waren stark beschädigt. Später erfuhren sie, dass
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