Die Konkubine
Geheimnis. Mulan und sonst niemand entschied, wem sie es erzählte.
«Tang, du überforderst mich. Kang gilt vielen doch als der Urheber, der Auslöser dieser Reformen. Und einige wurden doch auch umgesetzt.»
«Die Rolle Kangs wird überschätzt, glaube ich. Und ich denke, die Kaiserwitwe und ihr Neffe waren auch gar nicht so sehr gegen Reformen. Sie scheiterten eher an der Art, wie die Reformedikte umgesetzt werden sollten, nämlich an den kaiserlichen Ratgebern vorbei, die damit um ihre Macht fürchteten.
Diese Männer haben alles getan, um das zu verhindern. Sie wollen die Imperialisten zwar vertreiben, aber auf keinen Fall ihre Macht verlieren. Der junge Guangxu-Kaiser machte auch den Fehler, die Japaner zu sehr zu hofieren. Schließlich gewannen die Konservativen auch die Unterstützung Cixis.»
Tang zögerte. Nein, es war wohl besser, er sprach nicht von der undurchsichtigen Rolle des derzeitigen Generalgouverneurs Yuan Shikai. Noch einer, dem nicht zu trauen war. Yuan paktierte mit jedem, wenn es seinen Zielen diente. Anfangs hatte er die Reformer unterstützt – und sie dann verraten. Liu Youren und er hatten oft darüber gesprochen, dass es nicht genügte, eine verfassungsgebende Versammlung einzurichten und ansonsten alles beim Alten zu lassen. China musste eine Republik werden! Ihre Väter hingegen waren treue Gefolgsleute Yuans, aber entschlossene Gegner der Republik. Wenn sein Vater wüsste, dass er den Gedanken Sun Yat-sens folgte…
«Erkläre mir bitte das alles genauer. Ich verstehe das nicht. Was wollt ihr? Du sprichst doch immer von wir», hakte Konrad nach.
«Du hörst gut zu, Kangle. Auch wir wollen ein China für die Chinesen, ein starkes Reich, ein gutes Land für seine Menschen, aber .»
«Was aber? Was meinst du damit? Und wer ist wir?»
Tang zögerte erneut. Nicht nur, dass er sich mit seinen Ansichten im Widerstreit zu seinem eigenen Vater befand – wenn dieser Deutsche ihn verriet, dann könnte ihn das den Kopf kosten. Ebenso wie Mulan, die er in diesem Kampf an seiner Seite wusste. Sie war eine wertvolle Verbündete geworden.
Nein, Kangle würde schweigen. Ihretwegen. Er wusste, dass Mulan diesen Mann liebte, und für einen kurzen Moment spürte er so etwas wie Eifersucht. Doch Liebe war nicht von Belang. Die chinesischen Frauen hatten gelernt, nicht über solche Gefühle nachzudenken. Die Gemeinschaft war wichtig, das Wohlergehen der Familie, des Volkes. Da wusste er sich mit Mulan einig. Sie kämpften einen gemeinsamen Kampf, für gemeinsame Ziele. Und diese würde sie niemals verraten, egal, was sie auch für Kangle fühlen mochte. Doch so ganz sicher war er sich da nicht. Das musste er sich ebenfalls eingestehen.
«Hast du schon von Sun Yat-sen gehört? Er hat viel von dem, was er vertritt, im Westen gelernt. Er will mehr. Weißt du etwas über seine Lehre der drei Volksprinzipien?»
Konrad schüttelte den Kopf.
«Sun hat gesagt: Die drei Volksprinzipien bestehen aus dem Prinzip der Volksnation, dem des Volksrechts und dem des Volkslebens. Volksnation bedeutet, dass alle menschlichen Rassen der Welt gleich sind, dass niemals eine Rasse von einer anderen unterdrückt und unterjocht werden darf.»
«Wie das die Mandschu taten, als sie China erobert haben?»
«Ja, genau das.»
«Was bedeutet Volksrecht?»
«Meister Sun lehrt uns: Das Prinzip des Volksrechts bedeutet, dass alle Menschen gleich sind und zusammen eine große Familie bilden, dass niemals wieder wenige Menschen viele Menschen unterdrücken dürfen; denn alle Menschen haben die gleichen ihnen von der Natur verliehenen Menschenrechte. Anders ausgedrückt: Wenn man Herrscher und Fürsten einsetzt, dann werden gleichzeitig Sklaven und Untertanen geschaffen.»
Konrad war entsetzt. «Tang! Wie soll das gehen! Ein Land ohne Monarchie? Aber da fällt ja alles auseinander!»
Der Freund lachte. «Du redest schon wie mein Vater. Er will Reformen, aber die Werte des Meisters Kong Fuzi nicht antasten.»
«Was spricht gegen diese Werte?»
«Sie sind überholt, sie hindern uns auf dem Weg zu Freiheit und Gerechtigkeit. Meister Sun sagt auch, die Geschichte Chinas zeige die fortwährende Entwicklung von der Freiheit zur Diktatur. Im Gegensatz zur Geschichte Europas, in der sich die Diktaturen allmählich zur Freiheit entwickeln. Man denke da nur an die französische Februarrevolution.»
«Und das kommunistische Manifest dieses Karl Marx, was?»
«Warum nicht? Was ist falsch daran, dass die Arbeiter die
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