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Die Konkubine

Die Konkubine

Titel: Die Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gabriel
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Besonders in jenen Stunden, in denen sie die Tochter scheinbar gnadenlos antrieb, trotz ihrer Höllenqualen zu laufen. Bis sie nichts mehr spürte, bis sie gelernt hatte, den Schmerz auszublenden. Denn das war die einzige Möglichkeit gewesen, ihn zu ertragen, ohne wahnsinnig zu werden.
    Mutter hatte sie gelehrt, mit ihren noch ungeschickten Fingern ihre neuen Schuhe zu nähen, hatte ihr gezeigt, wie man sie wunderbar bestickte. Zusammen fertigten sie immer kleinere Schuhe für immer kleinere Füße. Dabei saßen sie oben im Gemach der Frauen. Sie würde für sehr lange Zeit nicht mehr nach draußen kommen und die Sonne auf ihrem Gesicht spüren. Manchmal hatte sie den Kopf gehoben, durch das vergitterte Fenster gespäht, die Wolken über den Himmel fliegen sehen und sich daran erinnert, wie schön es gewesen war, mit dem Wind um die Wette zu laufen.
    Sieben Zentimeter. Das war das Idealmaß für die Lilienfüße. Nur mit ihnen würde sie später einen reichen Mann bekommen. Ihre künftige Schwiegermutter hatte sich immer wieder von den Fortschritten überzeugt. Für diese vornehme Familie aus Jinan kam nur eine vollkommene Schwiegertochter in Frage. Sie hatte Angst vor dieser strengen Frau gehabt, sich aber bemüht, es nicht zu zeigen. Ihr künftiger Gatte sollte einmal stolz auf sie sein.
    In diesen Wochen, Monaten, Jahren war auch in ihr etwas immer kleiner geworden und schließlich zerbrochen.
    «Mulan, meine Tochter», hatte die Mutter liebevoll gesagt, «seit tausend Jahren ist es das Schicksal der Frauen, ihre Füße zu binden. In zärtlichen Stunden, wenn niemand bei euch ist, wenn ihr einander ganz nahe seid, dann wird dein Gatte dir die roten Nachtschuhe anziehen. Doch zuvor wird er deine kleinen Füße in seine Hände nehmen, sie streicheln und sie mit Wohlgefallen betrachten, weil sie hinten ganz rund sind und vorne ganz spitz, so wie Lilienfüße sein sollen. Und er wird dich dafür umso mehr ehren.»
    Damals war sie sechs Jahre alt gewesen. Sie hatte nicht gewusst, was das hieß: zärtliche Stunden, Nähe zu einem Mann. Doch weil sie spürte, wie sehr ihre Mutter sie liebte, glaubte sie ihr.
    Song Taitai, die Erhabene, die Hauptfrau des Vaters, hatte ihr aber noch andere Dinge erklärt. „Du musst auf die Zeichen der Zeit achten, meine kleine Magnolienblüte. Versuche zu erfahren, was außerhalb der Welt der Frauen geschieht. Vielleicht geht diese Zeit des Füßebindens bald zu Ende, vielleicht musst du deiner Tochter nicht diesen furchtbaren Schmerz zufügen, den ich dir bereite. Der Himmel mag es gewähren. Vieles in deinem Geburtsorakel spricht dafür, dass du einst ein Bindeglied, für viele Menschen sogar eine Brücke zwischen der alten und der neuen Zeit sein wirst. Doch auch das wird nicht ohne Schmerzen für dich abgehen. Jede Veränderung hat ihren Preis. Ich bete zur barmherzigen Guanyin, dass dich die Qualen, die du jetzt erleidest, für jene Zukunft stark machen, in der du andere, vielleicht sogar schlimmere Schmerzen ertragen musst.
    Außerdem wird der Glanz in deinen Mandelaugen, die makellose Glätte deiner Haut mit den Jahren vergehen. Doch ein guter Mann ist dein einziger Schutz in dieser Welt. Deshalb nutze die Zeit, in der sich deine Lilienfüße bilden, und studiere geduldig die alten Schriften, singe die alten Lieder, schule deinen Geist, damit die Gedanken fliegen lernen und Mauern dich nicht mehr einzusperren vermögen. Sei zurückhaltend, respektvoll gegenüber deiner Schwiegermutter, diene ihr klaglos, was immer sie auch von dir verlangen mag. Und sei deinem Mann eine folgsame Gefährtin. Aber fessele auch seinen Verstand. Dann wird er deinen Rat und deine Nähe auch dann noch suchen, wenn sein Körper schon lange nicht mehr nach dir ruft. Widersprich deinem Gatten niemals, sondern bleibe leise wie der Wind, der in den Zweigen wispert, wenn er vom nahenden Frühling erzählt.
    Sei den Dienstboten eine umsichtige Herrin. Dafür wird dein Gatte dich umso mehr achten. Denn dann gibt es keinen Streit und keine Unzufriedenheit in seinem Haus, sondern frohe Gesichter, Lachen und Gesang. Sei nach außen ruhig und fügsam, doch im Herzen stark. Lerne anzunehmen, was nicht zu ändern ist, und zu kämpfen, wenn es sich lohnt, mein Kind.»
    Sie hörte die Worte noch heute und gewann Kraft aus ihnen, wenn ihr einmal der Mut zu sinken drohte.
    «Song Taitai war eine stolze Frau. Und sie konnte so schöne Geschichten erzählen.» Die Worte der Amah zogen Mulan das Herz zusammen.
    «A-Ting,

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