Die Konkubine
was meinst du, haben die Fremden die Andacht gestört und die Ahnen erzürnt? Wie können die Eltern und mein Bruder dann Frieden finden?»
«Du hast getan, was du konntest, um deiner Kindespflicht zu genügen, meine Kleine. Außerdem hast du dem Literaten und dem Mönch genug dafür bezahlt, dass sie es richtig machen.»
Die Frauen verstummten. Beide dachten an denselben Tag. An diesen grauenvollen Morgen, als die Sonne zur Stunde des Hasen in der Pekinger Vorstadt aufgegangen war und die Köpfe des Bruders und drei anderer Studenten in den Staub rollten. Aija! Ihr Gege, der geliebte große Bruder!
Sie sprach fast wie zu sich selbst. «Wir haben uns so selten gesehen. Er musste ja von klein auf die Klassiker auswendig lernen. Mit fünfzehn ging er dann zum Studium fort. Da war ich erst zehn. A-Ting, weißt du noch, wie schön er war, wie klug, wie belesen?»
«Gewiss, mein Herz. Aber ein Stubenhocker war er nicht.»
«Nein, er liebte die Spiele im Freien. Hast du ihn einmal beim Schwertkampf beobachtet? Ich stand oft am Fenster, sah zu, wenn er mit seinen Freunden übte. Er war so mutig, so beherrscht. Keiner konnte sich mit ihm messen. Und dann, als er fort war, hat er so wundervolle Briefe geschrieben.»
«Ich kann mich gut erinnern. Immer wenn Song Laoye von einer seiner Reisen als Kreispräfekt aus der Provinz nach Jinan zurückkam, hat er Passagen daraus vorgelesen. Das war ein Fest für alle, selbst die Dienstboten durften dabei sein. Der junge Herr war mächtig stolz auf seine Bekanntschaft mit all diesen berühmten Leuten.»
Mulans traurige Augen hellten sich auf in Erinnerung an alte Zeiten. «Besonders gefielen mir die Stellen, an denen er von seinem neuen Freund, dem Reformer Tan Sitong erzählte», ergänzte sie lebhaft. «Er hatte alle seine Schriften gelesen. Und als er ihn dann aufsuchte, wurde er freundlich aufgenommen, obwohl Tan ja als kaiserlicher Berater ein sehr wichtiger Mann war. Gege war so voller Hoffnung, dass sich bald vieles im Reich zum Besseren wenden würde. Er setzte sich mit Leib und Seele für die neuen Ideen ein. , hat er geschwärmt, als er einmal in den Ferien zu Hause war. , hat er in einem seiner Briefe geschrieben. .»
«Der berühmte Reformer Herr Kang Youwei, sein großes Vorbild, wollte ihn ja sogar an seine Schule nach Guangdong holen. Doch Song Laoye machte sich schon damals Sorgen um den jungen Herrn.»
«Das war nur, weil er zweimal die Prüfung nicht bestanden hat», antwortete Mulan. «Vater hoffte doch selbst auf eine Modernisierung. Erinnerst du dich nicht? Einmal, als Gege nicht dabei war, hat er erzählt, wie er selbst sich durch das Prüfungssystem hatte quälen müssen. Das alles sei doch völlig überholt, die Streber kämen nach oben, und begabte junge Männer zerbrächen daran. Genau das hat er gesagt.»
«Aber ohne Abschluss kommt ein Mann nicht nach oben», wandte die Kinderfrau ein.
«Ja, deswegen war er auch bei Gege so streng.»
«Manche der jungen Herren lassen sich von ihrem Vater ein Amt kaufen.»
«A-Ting, wie kannst du so etwas nur sagen! Das hätte Vater nie getan. Er setzte auf die Reformen. Im Wuxu-Jahr schwärmte sogar er von den Neuerungen am Hof. Gege hatte ja geschrieben, dass die Berater ihre Vorschläge jetzt dem Kaiser direkt unterbreiten konnten, ohne den Umweg über die Zensoren, den Großen Rat und die Hanlin-Akademie. Er und seine Freunde träumten von einer glänzenden Zukunft. Doch sie hatten die Macht der Ewiggestrigen am Hof unterschätzt.»
«Oh ja, ich erinnere mich gut. Noch niemals hatte es ein so unerhörtes Vorgehen gegeben. Vielleicht wollten Herr Kang und die Jüngeren zu viel in zu kurzer Zeit. Und der junge Herr konnte in seinem Überschwang wie ein kleiner Junge sein!»
«Ach A-Ting! Sie hatten so große Ideale. Eine Verfassung, ein Parlament! Ich habe diese Worte zuerst nicht verstanden, aber Vater hat mir dann erklärt, was das für China bedeuten würde. So etwas gab es doch nur im Westen!»
«Doch dann kam alles ganz anders.»
«Oh ja. Ich konnte
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