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Die Konkubine

Die Konkubine

Titel: Die Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gabriel
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das sogar für ein Kompliment. Zuzutrauen wär’s ihm. Aber es stimmt schon, was der Baudissin sagt. Es gibt fascht nix, bei dem der Fauth nicht mitmischt.»
    «Was ist dieser Friedrich Fauth eigentlich für ein Mann? Was tut er?»
    «Wer weiß das schon! Es heißt, der Truppel vertraut ihm blind. Jedenfalls soll er ihn immer wieder mit geheimen Aufträgen losschicken und lässt nix auf ihn kommen. Ich glaub, der Fauth kennt jede Leiche, die der Truppel im Keller hat. Und die von anderen mit dazu. Der Stabschef Funke ischt über die Sonderstellung Fauths nicht sonderlich begeistert, wie ich gehört hab. Schließlich pfuscht der Fauth ihm immer wieder in seinen Zuständigkeiten herum. Inzwischen haben sich die zwei aber irgendwie arrangiert. Soweit ich weiß, hat schon mancher Engländer, Franzos’, Japaner oder Russe vergeblich versucht, Fauth auszuhorchen. Aber ich warn dich: Mach ihm gegenüber nie ein Schpäßle über seine Größe, seinen Bart oder seinen militärischen Rang. Ich glaub, er ischt total beleidigt, dass er noch kein hoher Offizier geworden ischt, trotz all seiner wichtigen Aufgaben. Der Mann ischt jedenfalls furztrocken. Der hat so viel Humor wie ein Besenschtil.»
    «Hat er denn keine Familie, keine Frau?»
    «Der Fauth? Du machscht wohl Witze! Der kennt doch nix außer seiner Pflicht. Ich weiß noch nicht einmal, ob er etwas mit einer Frau anfangen könnte. Hab ihn jedenfalls noch nie mit einer gesehen. Wieso fragscht du das alles?»
    «Wie es aussieht, will Truppel, dass ich in Tsingtau bleibe. Ich bin Friedrich Fauth zugeteilt. Ich soll ihm helfen, wahrscheinlich auch Wache vor seinem Haus schieben und Ähnliches.»
    Eugen Rathfelder klopfte Konrad Gabriel strahlend auf die Schulter. «Hä, das ischt jetzt aber eine gute Nachricht, scheinscht ein rechter Kerle zu sein, auch wenn du ein verdammter Preuß bischt. Willkommen.»

Kapitel 2
    SONG MULAN KONNTE EINFACH nicht aufhören zu zittern, während die Träger sie im Laufschritt zum Haus von Liu Guangsan brachten. Ihre alte Kinderfrau Yu Ting sprach besänftigend auf sie ein. «Sei ruhig, Kindchen, es ist uns ja nichts geschehen. Hast du den deutschen Soldaten bemerkt? Er hat gut gekämpft für eine Langnase. Wäre er nicht gewesen, die Sache hätte schlimm enden können. Ich glaube, es war derselbe, der auch im Tempel aufgetaucht ist.» Wenn sie allein waren, dann verfiel die Amah wieder in die Sprache von Mulans Kindertagen, als sie die Kleine auf ihrem Schoß gewiegt und sie an die Brust genommen hatte.
    Damals war die Welt noch in Ordnung gewesen und voller Glück, voller kleiner täglicher Wunder. Sie erinnerte sich an den Vogelgesang im elterlichen Garten und die Sonnenstrahlen, die durch die Pinien auf die Bank fielen. Wie oft hatte sie als kleines Mädchen darauf gesessen, die Finger verschmiert von Tusche, und darum gekämpft, die Zeichen richtig zu malen. Manchmal hatte Mutter die kleine Hand mit dem Pinsel in ihre genommen und sie sanft geführt.
    Ja, ihre Mutter! Sie war eine kluge, gütige Frau gewesen, hatte sie in ihrem Kleinkinderschmerz unendlich geduldig getröstet. Und später hatte sie mit der Tochter geweint, als diese vor Schmerzen schrie, weil die gebundenen Füße so sehr schmerzten.
    Sie würde den Tag niemals vergessen, an dem sie für immer die Freiheit verlor, die Erde unter ihren nackten Füßen zu spüren oder ihre Zehen ins Wasser zu halten. Ein Wahrsager hatte alle Zeichen gedeutet und das Datum bestimmt, an dem die Füße gewickelt werden sollten. Der Mutter waren die Tränen übers Gesicht gelaufen, als sie, bis auf den großen, alle Zehen ihrer Tochter nach hinten gedrückt hatte. Dann folgte Binde um Binde. Mit jedem Tag wurden die Bandagen fester gezogen. Die Qual war fast nicht zu ertragen gewesen. Nach einer Weile starben die Zehen ab, das Fleisch begann zu faulen. Und schließlich barsten die Knochen. Einer nach dem anderen.
    Die unerträglichen Schmerzen, die sie selbst erlebte, hatte sie in den Augen ihrer Mutter wiedergefunden. Auch die Mutter hatte das durchmachen müssen. Sie spürte ihr Mitgefühl in jeder Geste, und das tröstete etwas. Wenn sie ihr die Stoffbahnen abwickelte, die kleinen Füße badete, den Eiter und das Blut abwusch und dann neue Bandagen festzog, da hatte sie ihre Mutter manchmal für grausam gehalten, sich gewehrt und geschrien. Doch heute wusste sie, es war nicht so. Ihre Mutter hatte jede Träne in ihrem Herzen mit ihr geweint, auch wenn sie es nach außen nicht zeigte.

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