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Die Konkubine

Die Konkubine

Titel: Die Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gabriel
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dass Mulan und Yu Ting nichts geschehen war, schlurfte sie grußlos davon. Sie neigte zu Neid und Eifersucht. Das ehemalige Singmädchen behauptete, die Tochter eines verarmten Mandschu-Adeligen zu sein. Daher sei sie weit unter ihrem Stand verheiratet worden. Liu hatte sich rettungslos in die hübsche junge Frau verliebt und eine unglaublich hohe Summe für sie bezahlt. Doch er besuchte sie längst nicht mehr. Ihre Launen stießen ihn ab. Außerdem hatte sie nur Töchter geboren. Die kleinen Mädchen wurden im Haushalt wenig besser gehalten als Sklavinnen.
    Auch die drei Kleinen standen jetzt bei ihr, schluchzten und zupften an ihren Kleidern, nur, um sie berühren zu können. Mulan steckte ihnen hin und wieder etwas zu. Dafür hingen sie an ihr wie die Kletten. Sie war sehr froh, dass diese kleinen Füßchen unverkrüppelt bleiben würden. Mutter hatte recht behalten. Modern denkende Männer wie Herr Liu bestanden nicht mehr auf der grausamen Sitte. Auch sonst war eingetroffen, was Song Taitai prophezeit hatte. Manchmal, in besonders zärtlichen Stunden, wusch und band er ihre Lilienfüße – trotz seiner Begeisterung für Reformen. Er massierte sie sanft, streifte ihnen die Nachtschuhe über und betrachtete im Kerzenlicht voller Entzücken den Kontrast zwischen der roten Seide und Mulans elfenbeinfarbener Haut.
    Mulan sah sich um, während ihr dies alles durch den Kopf ging. Sie durfte nicht undankbar sein und konnte sich glücklich schätzen, wieder hier zu sein. Hier, bei einem Herrn, der sie beschützte.
     
    Der Lärm im Hof drang bis ins Arbeitszimmer von Liu Guangsan. Er sah hoch. Der Maiban saß angekleidet an seinem Schreibtisch, vor sich das weiße Papier, in der Hand den Tuschepinsel. Die Konzentration auf die sorgfältigen, wohl überlegten Pinselstriche, bei der sich seine ganze Energie in der Spitze des Pinsels zu ballen schien, machte seinen Kopf frei von den Sorgen des Tages. Trotz seiner gewaltigen Arbeitslast nahm er sich täglich eine Stunde Zeit für seine Kalligraphie, gewöhnlich am späten Abend, wenn es still wurde. Dann, wenn alles seine Ordnung hatte und er die Seinen wohl versorgt wusste.
    Doch diese Nacht war anders als die anderen, heute konnte er sich nicht konzentrieren. Er hatte diesen Lärm bereits erwartet, er wusste, was geschehen war. Das durfte Mulan jedoch keinesfalls erfahren. Er musste noch ein wenig warten, den Eindruck erwecken, als sei er wie die anderen Bewohner des Hauses aus dem Tiefschlaf geweckt worden.
    Er versuchte erneut, sich auf seine Malerei zu konzentrieren, tauchte den feinen Pinsel in die Tusche. Der Lärm nahm kein Ende. Sorgsam, damit keine Tusche auf seinen Schreibtisch aus Ulmenholz spritzte, legte er den Pinsel nieder. Das Möbel passte genau zu dem Schränkchen, das in der nördlichen Ecke des Zimmers stand. In einer wunderbar gearbeiteten Einlegearbeit war darauf ein Haus zu sehen, von dem eine Bogenbrücke über einen Lotosteich zu einer Insel mit offenem Pavillon führte. In der Mitte stand ein Mann und schaute übers Geländer nach unten ins Wasser. Liu betrachtete das Motiv und dachte wieder einmal, wie sehr es seine eigene Situation symbolisierte. Auch er fühlte sich oft, als befinde er sich auf einer Brücke zwischen zwei Welten – der eigenen, traditionellen und jener mit den neuen Ideen aus Japan und dem Westen.
    Als Mittelsmann der deutschen Kaufleute waren ihm die Barbaren von jenseits des Ozeans vertrauter als vielen seiner Landsleute. Sie hatten keine Manieren, waren zu laut, zu direkt. Doch er hütete sich, auf sie herabzusehen. Was sie in Qingdao leisteten, beeindruckte ihn. Daran konnten sich reformorientierte Männer ein Beispiel nehmen. Die Imperialisten waren wie ein Gewitter über China hereingebrochen. Doch es würde vorüberziehen. Bis dahin galt es, das Beste aus dem Regen zu machen, dafür zu sorgen, dass die heimatliche Erde blühte – und sich dem richtigen Lager anzuschließen. Liu hatte Deutsch und Englisch gelernt. Er zeigte es jedoch nie. Bei Verhandlungen mit den Ausländern bediente er sich stets eines Dolmetschers. Das hatte ihm schon manchen Vorteil gebracht. Aber er las ihre Zeitungen und wusste, dass sie untereinander verfeindet waren. Früher oder später würde es zwischen ihnen Krieg geben.
    Der Lärm im Hof riss ihn erneut aus seinen Überlegungen. Sie war also heimgekehrt, seine kleine Nachtigall. Er dachte mit Zärtlichkeit an Song Mulan. Wie grazil sie ihm entgegentrippelte, wenn er sie aufsuchte. Wie

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