Die Konkubine
elegant sie sich kleidete.
Sie erschien ihm wie ein Kunstwerk, vollkommen in allem, was sie tat. Sie war gebildet und kultiviert, sprach leise und höflich, oft eher durch Gesten als durch Worte. Sie verwöhnte ihn mit köstlichen Speisen und regte ihn in jeder Weise immer wieder aufs Neue an. Noch niemals hatte er eine Frau besessen wie sie. Doch jedes Mal empfand er dasselbe, wenn sie ihn anschaute: Mulans Augen waren wie dunkle Juwelen, schwarze Perlen, aus denen der Kummer den Schimmer der jugendlichen Lebensfreude vertrieben hatte. Diese große Traurigkeit! Selbst wenn sie lächelte, verschwand dieser dunkle Schatten nicht. Sie hatte viel durchgemacht. Doch sie war jung. Vielleicht konnte sie das Vergangene überwinden.
Vor etwa zwei Jahren hatte Yuan Shikai sie ihm zugeführt, ein naives, völlig verängstigtes Kind. Damals war Yuan noch Provinzgouverneur von Shandong gewesen und hatte in Jinan residiert. Was er über das schwere Schicksal ihrer Familie wusste, hatte ihm Yuan berichtet. Mulan vertraute ihm noch immer nicht völlig, verschloss ihm ihr innerstes Herz. Ob sie etwas ahnte?
Liu war klar, dass der Generalgouverneur das Mädchen nicht ohne Absicht nach Qingdao gebracht hatte. Er tat nie etwas grundlos. Er war ihm damit noch mehr verpflichtet, schuldete ihm eine weitere Gefälligkeit. Doch er bereute es nicht, dass er dieses Mädchen aus einer geächteten Familie in sein Haus aufgenommen hatte. Sie war wie ein Jungbrunnen für ihn. Seine zarte Magnolie, ein Vögelchen, das allzu früh aus dem Nest gefallen war – sie durfte niemals erfahren, dass er selbst den Überfall arrangiert hatte. Dass dies alles zu Yuans Plänen gehörte. Seufzend erhob er sich. Er war über 60 und manchmal spürte er das auch. Er musste sich den Anschein geben, als wäre auch er gerade aus tiefem Schlaf erwacht. Der Maiban trat hinaus, noch immer eine stattliche Erscheinung, trotz seiner Jahre.
«Was ist hier los? Wer stört die Nachtruhe?» Die sonore Stimme des Herrn Liu ließ die Menschen im Hof sofort verstummen. Er ging zu Mulan, die sich auf den Arm ihrer Kinderfrau stützte. «Ni laile, du bist zurückgekommen. Was hat das Geschrei zu bedeuten?»
«Herr!» Mulan verneigte sich schwankend vor Erschöpfung. «Wir sind auf dem Heimweg überfallen worden.»
«Welcher stinkende Hund hat es gewagt?», herrschte Liu den ältesten der Sänftenträger an.
«Herr, es waren viele. Sie trugen die Stirnbinde der dadao hui, der Großen Schwerter», gab der Mann verängstigt zurück.
«Warum habt ihr sie nicht vertrieben? Wozu gab ich euch Bewaffnete mit? Feiges Pack!»
Mulan meldete sich gegen alle guten Sitten ungefragt zu Wort. «Sie haben tapfer gekämpft, Herr, ohne Rücksicht auf ihr eigenes Leben. Dennoch wären sie fast unterlegen. Es war eine ganze Schar, die uns überfiel.»
«Und? Haben sie dir etwas getan? Haben sie dich… angefasst?»
«Nein, Herr.»
Liu konnte seine Erleichterung nur mühsam verbergen. Auf die groben Burschen, die er für den vorgetäuschten Überfall angeheuert hatte, war kein Verlass. «Was geschah nun?»
«Ein Ausländer kam zufällig vorbei und hat geholfen. Kurz darauf erschien ein ganzer Trupp Soldaten. Sie schlugen die Banditen in die Flucht.»
Der eine der bewaffneten Begleiter war sehr verwundert über Mulans Aussage. Hatte sie nicht bemerkt, dass er und sein Kamerad davongelaufen waren? Als er sie verstohlen anblickte, erkannte er, dass sie ihn und die anderen absichtlich in Schutz nahm. Sie wollte ihn davor bewahren, bis aufs Blut ausgepeitscht zu werden, wenn nicht gar vor Schlimmerem. Dafür würde er ihr ewig dankbar sein. Er warf sich vor Liu zu Boden und machte immer wieder Kotau. «Verzeiht, Herr! Euer nichtswürdiger Sklave konnte den Überfall nicht verhindern. Die Banditen waren in der Überzahl.»
«Suanle, genug jetzt, geht!» Die Wachmänner verschwanden in Windeseile.
Liu sah, dass Mulan sich kaum aufrecht halten konnte und befahl ihr, sich zurückzuziehen. Dann schickte er die Dienstboten in ihre Quartiere. Das große Tor war wieder verriegelt.
Liu stand mit seinem Leibdiener alleine im Hof. «Schick mir den Ersten Sänftenträger in mein Arbeitszimmer», trug er dem Alten auf.
Er ging zurück in seine Räume und ließ sich schwer auf seinen Schreibtischstuhl fallen. Er war so glücklich, dass Mulan nichts geschehen war. Natürlich konnte er ihr die Zärtlichkeit niemals zeigen, die er für sie empfand. Und die Erleichterung, die er über den glücklichen
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