Die Konkubine
und dem Lachen längst vergangener Tage erzählt. Sein Körper lag noch immer auf der Straße. Sie hatte mit Steinen versucht, die Köter und die Krähen davon abzuhalten, sich über ihn herzumachen, eine endlose Stunde nach der anderen, bis die Nacht hereinbrach und gnädig die Decke der Dunkelheit über den Toten ausbreitete.
Die Gaffer waren längst gegangen, zurückgekehrt in den Alltag, lagen erschöpft von der täglichen Mühsal auf ihrem Lager. Für die vier Köpfe auf den Pfählen, die toten Körper interessierte sich niemand mehr. Mulan hätte am liebsten ihre Verzweiflung herausgeschrien. Doch sie war stumm geblieben. Sie hatte keine Tränen mehr.
Und dann war sie mit A-Ting aus ihrer Ecke gekrochen. Ein Kuli half ihnen, den Kopf des Bruders vom Pfahl zu holen. Yu Ting nähte ihn an den Körper. Es war schwer gewesen, einen Karrenführer zu finden, der bereit war, den Toten und die beiden Frauen bis zur Schiffslände am großen Kanal zu bringen. Er hatte den dreifachen Lohn verlangt. Ebenso wie der Bootsmann, der sie schließlich aufnahm. Schließlich würde kein anderer Gast mit einem Toten reisen wollen. An die lange Fahrt auf den Kanälen nach Süden erinnerte sich Mulan nur noch nebelhaft. Die Qual in ihrem Inneren hatte sie für alles andere taub gemacht in diesen Stunden, diesen endlosen Stunden der Reise zum Grab der Ahnen. Doch die toten Augen ihres Bruders hatten sich in ihr Gedächtnis eingebrannt. Als habe er sagen wollen: «Kleine Schwester, du tust tapfer deine Pflicht. Wie du es Vater und Mutter versprochen hast.»
In Jinan kauften sie dann einen schlichten Sarg. Ein gemieteter Kuli schaufelte die Grube und senkte den Sarg hinein, neben die Eltern. Die Amah murmelte dazu die Gebete.
Seit damals hatte Mulan eine graue Strähne im Haar, die Yu Ting sorgsam jeden Tag dunkel färbte, damit niemand sie sah. Seit damals war sie eine Gefangene der Angst.
Sie hörte wieder ihre Mutter. «Ich habe dich gelehrt, dich zu fügen, so wie die Blume sich Regen und Sonnenschein fügt.» Es fiel so schwer. So sehr sie sich auch bemühte. Sie war nicht so klug wie Song Taitai.
Mulan zitterte noch immer, als das große Hoftor des Hauses in Dabaodao aufschwang. Endlich war sie wieder in Sicherheit, in dem Hof, den sie kannte, geborgen und unter dem Schutz ihres Herrn. Sie legte die Hand auf ihren Bauch, spürte eine Bewegung, federleichte Schmetterlingsflügel. Bald würde sie Liu Guangsan sagen müssen, dass sie schwanger war.
Die Amah half ihr aus der Sänfte. Die Träger erklärten der übrigen Welt ungeachtet der späten Stunde kreischend, dass sie überfallen worden waren. Dabei zogen sie wilde Grimassen, um die Gefährlichkeit der Angreifer noch eindrücklicher darzustellen. Alle Menschen in diesem reichen Hofhaus erwachten, die Dienstboten eilten herbei, der Hof hallte wider von aufgeregten Stimmen. Jeder wollte sehen, ob es der Zweiten Nebenfrau gut ging. Sie respektierten sie. Denn trotz ihrer stillen und zurückhaltenden Art, ihrer zarten Erscheinung wusste sie, was sie wollte, und verstand es, Menschen zu führen.
Es wurde immer lauter. Die Dienstboten verfluchten die elenden Banditen, redeten von allen Seiten auf Mulan und Yu Ting ein und betasteten sie, um sich zu vergewissern, dass ihnen auch wirklich nichts geschehen war. Mulan versuchte Haltung zu bewahren. So sehr die Anteilnahme sie auch rührte, sie wollte nur fort in ihre Gemächer. Doch sie lächelte und dankte den Leuten.
Liu Guangsans Taitai war inzwischen ebenfalls im Hof. Sie verlangte, die ganze Geschichte noch einmal zu hören. Dann tätschelte ihr Ma Guimei sanft den Arm. Mulan war ihr dankbar für diese Geste. Die erste Gemahlin war immer gut zu ihr gewesen. Und das, obwohl sie als Zweite Nebenfrau in diesem Haus kaum höher stand als die Dienstboten. Die korpulente 60-jährige Dame war gutmütig und fast so alt wie der Maiban. Ma Guimei liebte nichts mehr als das Majiang-Spiel mit ihren Freundinnen und geölte Sesamkuchen. In regelmäßigen Abständen, meist wenn sie zu viel Kuchen gegessen hatte, befahl sie ihren Dienstboten, ihre beste Kleidung bereit zu legen, denn sie werde bald sterben. Doch sie schikanierte die Konkubinen ihres Gatten nicht, wie dies manchmal in anderen Familien der Fall war. Ihr Rang und die Tatsache, dass sie dem Maiban Liu Guangsan einen Sohn geboren hatte, gaben ihr Gelassenheit.
Auch die Erste Nebenfrau Lius war inzwischen aufgetaucht, wie üblich mit einem mürrischen Gesicht. Als sie sah,
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