Die Konkubine
wünschte er sie sich. Er sah die Schlagader an ihrem Hals leise pulsieren, strich mit dem Finger sanft die Schweißperlen fort, die das Liebesspiel auf ihrer Oberlippe hinterlassen hatte, und er wusste, dass er sehr geduldig sein musste. Dann würde sie sich vielleicht eines Tages öffnen wie eine Magnolienknospe im Frühling.
Am nächsten Morgen stieg Mulan zusammen mit ihrer Amah in die Sänfte und ließ sich zu Salome Wilhelm bringen. Sie bot der Frau des Missionars an, ihr beim Unterricht für die chinesischen Mädchen zu helfen, bat aber freundlich um einen Gegendienst. Sie wolle gerne die Sprache der Fremden lernen, um sie besser zu verstehen und sie später auch ihrem Sohn beizubringen, damit für immer Friede herrsche zwischen diesen beiden Völkern.
Salome Wilhelm empfing sie mit offenen Armen. Sie freute sich über die Entlastung, ihre beiden kleinen Söhne kosteten sie viel Kraft. Im Gegenzug erklärte sie sich bereit, Mulan Deutschunterricht zu erteilen. «Dann haben wir eine richtige wöchentliche Frauenrunde und können über unsere Kinder sprechen. Wir freuen uns sehr, dich öfter bei uns zu haben, Mulan», gab ihr Salome Wilhelm mit auf den Weg. Als sie hinausging, begegnete ihr Richard Wilhelm. «Ah, Mulan, schön, dich wieder einmal in meinem Haus zu sehen! Ich hoffe, es geht dir gut. Bitte sag doch deinem – äh, Liu Guangsan, dass ich ihn demnächst besuchen werde. Mir fehlen die gelehrten Gespräche mit ihm. Me, Schätzle, sag, wo hast du meine Manschettenknöpfe?», erkundigte er sich sodann bei seiner Frau. «Ich hab es eilig, komm schon.»
Mulan begriff, dass er sie schon wieder vergessen hatte. Er war wie alle Männer, er konnte nicht zuhören, wenn von den Angelegenheiten der Frauen die Rede war. Deshalb nickte sie nur. «Ich werde es meinem Herrn ausrichten, Wei Lixian. Er wird sich durch Ihre Freundlichkeit sehr geehrt fühlen.» Als sie in ihre Sänfte stieg, um sich heimtragen zu lassen, schoss ihr ein Gedanke durch den Kopf. Jetzt bin ich eine Spionin wie meine liebste Schwurschwester. Neben dem Erschrecken löste diese Vorstellung auch Erstaunen in ihr aus. Und ein Gefühl, das sie wärmte. Sie war nicht mehr machtlos. Nicht mehr ganz so ausgeliefert. Ihr Herr Liu brauchte sie. Zhongguo brauchte sie.
Kapitel 6
DIE RENNTAGE IN TSINGTAU WAREN jedes Mal ein gesellschaftliches Großereignis, das Gäste aus nah und fern anzog. Und dabei hatte natürlich auch die Kapelle des III. Seebataillons zu spielen – zumeist Marschmusik. Das wehmütige Abschiedslied «Behüt Dich Gott» des «Trompeters von Säckingen» gehörte inzwischen zum festen Repertoire. Besonders die Damen liebten es, schließlich ging es darin um eine romantische Liebesgeschichte zwischen einer Adeligen und einem einfachen Trompeter. Konrad Gabriel und sein Solo waren bereits recht bekannt geworden. Immer wieder streifte ein anerkennender Blick den blonden Trompeter mit den meerblauen Augen.
Bald würde das Hauptrennen des Tages beginnen. Die hoch gesetzten Favoriten waren der dunkelbraune, nervöse Morning Star aus dem Stall des chinesischen Kompradors Tang Liwei und Tristan, der Vollblüter von Gouverneur Truppel, ein junger Hengst aus guter Zucht, ein zierlicher und dennoch kraftvoll wirkender Apfelschimmel. Die Reiter saßen mit angespannten Gesichtern in ihren Rennsätteln, als ein Pferd nach dem anderen an den Start geführt wurde. Alle Augen waren auf die Rennbahn gerichtet, die Damen auf der Tribüne unter der großen Markise fächelten sich Kühlung zu. Die Herren hoben die Ferngläser an die Augen, andere wetteten noch in letzter Minute und gesellten sich dann zu ihren Familien oder den Gastgebern in den Logen. Auf den Tischen standen Körbe mit Obst, Kuchen und anderen Süßigkeiten, Sekt perlte in hohen Kelchen, überall flatterten bunte Fähnchen im Wind.
Die Spannung stieg von Sekunde zu Sekunde und schwang in dem vielstimmigen Gemurmel mit, das die Brise bis zu Konrad Gabriel herüberwehte. Wenn das Pferd eines Chinesen gegen das eines Europäers antrat – und dazu noch das des Gouverneurs – dann war das Ergebnis auch eine Frage des Prestiges, ein Symbol von Überlegenheit. Es gab in Tsingtau nicht viele chinesische Händler, die es sich leisten konnten, Rennpferde zu halten.
Jeder der Männer auf der Rennbahn war an diesem Tag ein Fachmann, hatte sich die Tiere angeschaut, die vor den Rennen zum Aufwärmen von ihren Pflegern im Führungsring präsentiert worden waren. Der Apfelschimmel
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