Die Konkubine
Truppels sollte sogar ein Nachkomme des berühmten englischen Hengstes Eclipse aus dem Stall von Lord Cumberland sein. Es hieß, Eclipse habe in seinem ganzen Leben kein einziges Rennen verloren. Doch ganz genau ließ sich das nicht mehr nachvollziehen, die Rennen von Eclipse hatten vor mehr als 100 Jahren stattgefunden. Dennoch, einige der Herren waren sich absolut sicher: Tristan war das Siegerpferd. Die chinesischen Notabeln und Geschäftsleute in ihren kunstvoll bestickten Seidenroben, angetan mit ihren Rangabzeichen, den Hüten und Hofketten, hielten sich zurück. Sie lächelten nur höflich.
Die Renntage von Tsingtau waren eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen sich die Lebenswelten der Europäer und der Chinesen begegneten – zumindest die Sphäre der Offiziere und westlichen Geschäftsleute mit jener der reichen chinesischen Händler und der Kompradoren. Das weitläufige Areal hinter dem Strand Hotel war voller Menschen, sie waren aus Schanghai und Peking angereist, manche sogar aus Orten, die fast an der russischen Grenze lagen. Es herrschte ein babylonisches Sprachgewirr. Konrad Gabriel hörte Englisch, Französisch, Italienisch, aber auch Russisch und Japanisch.
Die europäischen Damen mit ihren großen Hüten segelten wie aufgetakelte Fregatten über den Platz, im Gefolge eine mehr oder weniger große Kinderschar, aufgezäumt wie Luxuspferde, voran die fast erwachsenen Töchter in meist weißen, luftigen Kleidern mit Spitzenverzierungen und Wespentaillen, die Söhne ausstaffiert mit Matrosenkragen.
Die Renntage waren bekanntermaßen auch ein wunderbarer Ort dafür, Kontakte zu knüpfen und die Männerwelt nach möglichen Schwiegersöhnen abzusuchen. Das Angebot war groß. So bekamen auch die jungen Damen ihre Chance, die vielleicht nicht mit einer üppigen Mitgift oder besonderem Charme gesegnet waren; manche waren eigens deswegen aus der Heimat hierher geschickt worden – zu einer verheirateten Schwester, einer Tante oder einer weitläufigen Verwandten. Das wussten auch die jungen, unverheirateten Marine-Offiziere, die sich in ihren blauweißen Ausgehuniformen in Pose warfen. Tressen, Knöpfe, Schulterstücke blitzten je nach Rang mehr oder weniger in der Sonne, einige flanierten in der blauen Kurzjacke einher, dazu ein weißes Hemd mit Eckkragen, nicht zu Unrecht auch «Vatermörder» genannt. Die Deckoffiziere hatten ihre Schirmmütze keck etwas schräg gesetzt. Die jungen Damen bekamen bei ihrem Anblick verträumte Augen, schwangen ihre chinesischen Fächer noch ungestümer, senkten die Augenlider, riskierten einen verstohlenen Blick durch die Wimpern, erröteten leicht und verschenkten hin und wieder sogar ein schamhaftes Lächeln.
Die Blicke der Mütter waren nicht ganz so verstohlen. Sie suchten besonders die Reihen der höheren Offiziere nach geeigneten Heiratskandidaten für ihre Töchter ab. Das waren die Männer, die im zweireihigen, bis zum Knie reichenden Rock aus dunkelblauem Tuch erschienen waren, darunter ein weißes Hemd mit hochstehendem Eckkragen und schwarzem Querbinder. Der Säbel oder Dolch saß schmissig gegürtet am Überschnallkoppel aus Moireband.
Die verheirateten Männer hatten anderes vor. Renntage waren hervorragende Gelegenheiten, Geschäfte zu machen, Neuigkeiten auszutauschen. Sie trafen sich in Gruppen und Grüppchen am Rande der Rennbahn, wo man sie reden sah.
Konrad Gabriel schaute in die Runde. Er sah seinen Freund und Lehrer Tang Huimin neben dessen Vater in der Loge des Gouverneurs sitzen. Der junge Mann lächelte ihm zu. Wir sehen uns bald, hieß das. Sein Vater bemerkte das und betrachtete den jungen Deutschen mit einem aufmerksamen Blick. Die Damen unterhielten sich angeregt. Konrad Gabriel erkannte Salome Wilhelm neben Anna Truppel, der Gattin des Gouverneurs. Letztere hatte gerade eine heftige Diskussion mit ihrer etwa zehnjährigen Tochter Annemarie. Das Mädchen schmollte. Auf dem Schoß von Salome Wilhelm saß ihr älterer Sohn, der etwa zweijährige Siegfried.
Konrad zog ein kariertes Taschentuch aus dem Trompetenkasten und tupfte sich die Schweißtropfen von der Stirn. Es war heiß. Die Musiker des III. Seebataillons saßen in der prallen Sonne. Niemand hatte daran gedacht, für das Orchester Sonnenschirme aufzustellen.
«Auf wen hosch du g’wettet? Auf den Gaul vom Gouverneur oder den vom Chinesen?», fragte Eugen Rathfelder und lenkte Konrad Gabriel von seinen Gedanken ab, die sich wieder einmal um die junge Chinesin rankten, die er vor
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