Die Konkubine
einigen Wochen gerettet hatte. Wider alle Vernunft hoffte er, ihr zu begegnen. Dabei wusste er doch inzwischen genau, dass die vornehmen Chinesen ihre Frauen niemals mit zu solchen gesellschaftlichen Anlässen nahmen. Es gab nur ganz vereinzelt höher gestellte Chinesinnen auf dem Rennplatz, und diese waren zumeist alt. Ansonsten waren da nur noch die weiblichen Dienstboten, die ihre Herrschaften zum Rennen begleiteten.
Der Dirigent hob den Arm. Vor dem großen Rennen war ein Marsch angesagt, in diesem Fall der Erzherzog-Albrecht-Marsch von Karl Komzak. Das sollte die Spannung noch ein wenig mehr steigern. Dann folgte der Triumphmarsch aus «Aida», mit einem Solopart des Trompeters Konrad Gabriel. Der letzte Ton war kaum verklungen, da fiel auch schon der Startschuss.
Konrad konnte die Rennbahn kaum erkennen, denn die Zuschauer drängten sich an ihrem Rand, um die Pferde möglichst genau zu sehen. Die feineren Herrschaften in den Logen folgten dem Geschehen mit Hilfe ihrer Ferngläser. Aus dem beifälligen Gemurmel der Europäer schloss er, dass der Hengst des Gouverneurs in Führung liegen musste.
Er schaute wieder über das Gelände, Männlein und Weiblein standen dicht an dicht an der Rennstrecke, der Platz davor war fast frei. Deshalb fiel ihm eine Gruppe von drei Männern auf. Zwei Sergeanten der Marine diskutierten hitzig mit einem chinesischen Würdenträger; die Sergeanten redeten gerade auf ihn ein, während der Chinese ihnen mit unbewegtem Gesicht zuhörte. In diesem Moment erkannte Konrad ihn. Es war Liu Guangsan, der Mann, der sich die Frau als Konkubine hielt, die er nicht vergessen konnte. Die Europäerinnen in Tsingtau rümpften die Nase über solche Frauen. Tang hatte ihn jedoch gelehrt, dass auf diese Weise auch junge Mädchen aus armen Familien, selbst Kurtisanen oder Singmädchen ins Haus eines reichen Mannes kommen und damit ein gutes Leben haben konnten.
Huimin verstand nicht, warum die Europäer es unmoralisch fanden, wenn ein Mann Nebenfrauen hatte. Schließlich hatte auch bei ihnen fast jeder eine chinesische Missis. Diese Frauen waren weit weniger gut abgesichert. Wenn ein Chinese sich eine Nebenfrau nahm, dann gab es sogar so etwas wie eine kleine Hochzeitsfeier. Natürlich stand eine solche Frau weit unter der Taitai. Aber alle im Haus wussten, woran sie waren. Die europäischen Männer machten ein großes Geheimnis aus ihren Nebenfrauen. Was war denn nun besser? Einer Geliebten eine einigermaßen gesicherte Stellung in einem Haushalt zu geben und für ihr Wohlergehen zu sorgen oder diese Heimlichtuerei, die aus einer so normalen Sache wie dem Zusammenkommen eines Mannes und einer Frau eine verbotene Handlung machte? So hatte Tang Huimin argumentiert, und Konrad stimmte ihm zu. Fast. Er konnte dabei doch nicht so ganz aus seiner Haut. Da machte sich die protestantisch-puritanische Erziehung durch seine Schwester Martha wieder bemerkbar.
Ein junger Chinese gesellte sich zu der Dreiergruppe. Er kam Gabriel bekannt vor. Natürlich, er hatte ihn im Haus von Liu gesehen. Das musste dessen Sohn sein. Soweit er wusste, hatte der Komprador bisher nur einen männlichen Nachkommen. Jetzt schlenderte auch Tang Huimin hinzu. Er griff energisch in das Gespräch ein. Die beiden Sergeanten verstummten, der eine wurde hochrot. Konrad sah, wie er die eine Hand zu einer Faust ballte. Offenbar hatte Huimin etwas gesagt, das ihn aufs Äußerste erboste. Liu Guangsan ergriff wieder das Wort, und der Sergeant entspannte sich wieder etwas. Konrad fragte sich verwundert, was wohl der Gegenstand dieser seltsamen Unterhaltung gewesen sein mochte.
In diesem Moment löste sich Tang Huimin von der Gruppe und kam in seine Richtung. «Wie ist es, wollen wir danach noch etwas unternehmen?»», fragte er seinen deutschen Mitschüler auf Chinesisch.
«Hen hao, Tang Laoshi, sehr gut, Lehrer Tang», antwortete Konrad brav wie ein kleiner Junge.
So ganz verstand er Huimins Antwort jedoch nicht und schaute ihn verständnislos an. Der junge Chinese lachte. «Mein ehrenwerter Vater würde meinen gelehrigen Schüler gerne kennenlernen. Hast du Zeit?», wiederholte er langsam.
Konrad Gabriel war erstaunt. «Mich kennenlernen?»
Tang Huimin nickte fröhlich. «Ja, ich habe ihm gesagt, du wärst zwar ein Yang guizi, ein fremder Teufel, jedoch mit einem gewissen Mindestmaß an Kultur.» Die unterschiedlichen Auffassungen zwischen Europäern und Chinesen darüber, was Kultur bedeutete, hatten sich inzwischen zu einer Art
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