Die Konkubine
Glasscheibe. Moment, hing auf der anderen Seite der Wand nicht ein Spiegel? Doch, es musste diese Wand gewesen sein, er erinnerte sich genau an das Bild, das sich ihm geboten hatte, als er kurz hineinblickte. Beim ersten Hinschauen wirkte die Scheibe auf dieser Seite dunkel, beim zweiten erkannte er, dass sie durchsichtig war. Von seiner Position hinter dem Schreibtisch aus konnte Sato genau beobachten, womit sich seine Gäste beschäftigten.
Der Japaner hatte Fauth fast regungslos zugehört. Dann nickte er. «Ich werde sehen, was ich herausfinden kann. Bei mir war dieser Neidhardt jedenfalls nie. Da bin ich mir sicher. Aber ich bin ja nicht der Einzige in Tsingtau mit einem derartigen Etablissement. Hast du eigentlich schon etwas über den Tod dieses Heizers herausgefunden? Kruse hieß er, glaube ich.»
In Fauths Augen blitzte kurz das Misstrauen auf, verschwand dann aber sofort wieder. «Woher weißt du davon?»
Der Japaner lächelte. «Da und dort. Du weißt, dass ich fast alles erfahre. Deswegen bist du ja schließlich hier und bittest mich um meine Mithilfe.»
Fauth grinste. «Und, was hast du über den Heizer gehört?»
Sato schüttelte den Kopf. «Nichts, absolut nichts. Dieses Schweigen spricht Bände. Hinter der Sache scheint mehr zu stecken, als es den Anschein hat. Jemand hält die eigentliche Geschichte unter dem Deckel. Und das muss jemand sein, der viel Einfluss hat. Vielleicht ist es besser, du mischst dich da nicht ein. Es könnte gefährlich werden.»
«Glaubst du, dass der verschwundene Braumeister und der getötete Heizer etwas miteinander zu tun haben könnten?»
Der Japaner sah Fauth einen Moment lang nachdenklich an. «Ich denke nicht. Die Welten, in denen sie sich bewegten, haben nur wenige Berührungspunkte. Aber, wie gesagt, ich weiß nichts.»
«Schon das alleine ist bemerkenswert», stellte Fauth fest. «Kommen Sie, Gefreiter, wir gehen. Vielleicht bekommen wir ja schon ein ordentliches Frühstück.»
Konrads Magen knurrte wie auf Kommando. Als sie auf die Straße traten, dämmerte bereits der Morgen herauf. Von außen sah das Haus des Japaners dunkel und völlig harmlos aus, der Laden war noch geschlossen.
«Ich glaube, Sato schläft nie», murmelte Fauth, als habe er die Gedanken seines Begleiters erraten.
«Ich gäbe viel für einen guten deutschen Kaffee», erwiderte Konrad.
«Und ein Stück Käse», ergänzte Fauth.
Das gemeinsame Lachen über diesen kleinen Heimwehschub schuf für einige Sekunden eine gewisse Form von Vertrautheit zwischen ihnen.
Die beiden Männer fanden keine Zeit für ein ordentliches Frühstück. Als sie im Häuschen Fauths ankamen, wartete schon ein Marinesoldat auf sie. «Stabschef Funke wünscht Sie zu sprechen. Sofort.»
Fauth nickte ergeben. «Das habe ich schon erwartet. Kommen Sie, Gefreiter. Jetzt erwartet uns eine Standpauke. Und ich sehe nicht ein, dass ich sie alleine abbekomme.»
Fauth behielt recht. «Warum mischen Sie sich ständig in Dinge ein, die Sie nüscht angeh’n, Fauth?», brüllte Funke, sobald sie das Büro des Korvettenkapitäns betreten hatten. Fauths Miene blieb unbewegt.
Konrad hatte das Gefühl, Zeuge eines schon oft praktizierten Rituals zu sein. Der Korvettenkapitän hatte nicht nur stimmlich ein mächtiges Organ. Das galt ebenso für seine Nase. Er überlegte kurz, ob man sie wohl griechisch-römisch nennen könnte. Nein, vielleicht war sie doch zu kolossal. Der ganze Mann war kolossal. Er überragte Fauth um mindestens einen Kopf und den Gefreiten Gabriel um einen halben. Letzterer zog sicherheitshalber den Kopf ein. Er wusste nicht so genau, wie er mit dem Zornesausbruch Funkes umgehen sollte.
Ein erneuter Blick zu Fauth machte ihm klar, dass der geharnischte Anschiss diesen noch immer ziemlich kalt ließ.
«Der Polizeichef von Tsingtau beschwert sich nicht zu Unrecht darüber, dass die Ermittlungen Kruse in seine Zuständigkeit fallen und Sie sich gefälligst rauszuhalten ham, Fauth.»
Keine Reaktion.
«Und nun die Sache mit dem verschwundenen Braumeister!»
Keine Reaktion.
«Woll’n Se sich denn nicht endlich äußern?»
«Nein.»
«Ach. Na, dann bereiten Se sich mal auf eine Truppel’sche Gardinenpredigt vor. Er will Sie sofort sehen. Der Polizeichef ist bereits bei ihm.»
«Ich hatte keine Ahnung, dass Schöller so früh aufsteht», erwiderte Fauth.
Konrad hatte Mühe, sich ein Feixen zu verkneifen. Funke offenbar auch.
«Na, dann wollen wir mal», meinte der kleine Mann mit gottergebener Miene.
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