Die Konkubine
Es ging darin um die wahre Freude eines Fürsten», verkündete Fauth.
«So. Und worin besteht diese?»
«Na, der Fürst soll alle Schönheit der Musik, der Gärten und der Schlösser nicht allein, sondern mit seinem Volk genießen.» Fauth schien sehr zufrieden mit sich zu sein.
Auch diese Auskunft fand Konrad später im Stadtführer wieder, ebenso wie manch andere, die er auf dieser Reise erhielt. Fauth zeigte ihm nach einigem Herumirren sogar die Stelle, an der der Marmorpalast einst gestanden haben sollte. Ein paar steinerne Löwen thronten auf einer öden Fläche. Im Hintergrund sahen sie ein zerfallenes Gebäude, in dem Bettler hausten. Die Reste eines uralten Stadttores ragten wie ein Hügel aus der Ebene hervor.
«Im Volksmund heißt dieser Hügel der Ameisenberg», setzte Fauth seine Erläuterungen fort.
Konrad verbrachte seine erste Nacht in einer chinesischen Herberge. Das Dach war mit Kaoliangstengeln und Lehm abgedichtet, der Komplex umfasste einen ummauerten Hof, drei ineinandergehende Räume und eine lehmgestampfte Tenne. Der Hauptraum war dunkel und verräuchert, der Fußboden bestand aus gestampftem Lehm. Die Türen waren mit hölzernen Riegeln versehen und die Papierbespannungen der Gitterfenster teilweise zerrissen. Bevor es kälter würde, würden die Fenster neu bespannt werden. Wie jedes Jahr.
An der einen Seite der eigentlichen Herberge sah er die Stallungen. Dort standen zwei kleine rötliche Rinder. Sie würden nicht geschlachtet, sondern zur Feldarbeit genutzt, erfuhr er von Fauth. Der Wirt hatte außerdem zwei Eselchen und drei dieser genügsamen Mongolenponys dort untergebracht, die er wohl für Gäste bereithielt, deren Reittiere krank oder erschöpft waren. Daneben sah er den Koben mit drei fetten runzeligen schwarzborstigen Schweinen sowie einen Behälter, in dem alle Reste und die Exkremente zur Düngung der Felder gesammelt wurden. Im Hof scharrten leise gackernd die Hühner, ein Hund mit Ringelschwanz beäugte die Gäste misstrauisch. Eine Katze saß auf der Türschwelle, genoss die letzten Sonnenstrahlen und putzte ihr Fell. Niemand trieb sie fort. Katzen waren recht selten hierzulande, die Bevölkerung behandelte sie sogar mit einem gewissen Respekt.
Eine ganze Horde Kinder versammelte sich um die Fremden. Die Eltern und Großeltern waren ebenfalls herbeigeeilt, hockten aber weiter hinten und schauten dem Trubel zu. Sie schienen den Deutschen nicht feindselig gesinnt zu sein. Einige der kleinen Jungen waren nackt. Das war nicht unüblich, trug jedoch zur Entrüstung mancher Missionare bei.
Fauth schaute dem Treiben ungerührt zu, während Konrad mit den Kleinen Chinesisch lernte. Er stellte sich dumm, und sie brachten ihm ihre Sprache begeistert bei und kicherten, wenn der Fremde sich wieder einmal im Ton vergriffen hatte. Sie wählten die Methode, nach der auch sie selbst in den Schulen unterrichtet wurden, die es in manchen Dörfern durchaus gab – auswendig lernen und wiederholen, immer wiederholen. «Yige ren, erge nanren, sange nüren, sige men – ein Mensch, zwei Männer, drei Frauen, vier Türen.» Die Begeisterung kannte fast keine Grenzen mehr, als Konrad sein berühmtes «Behüt Dich Gott» blies. Es schien die chinesischen Dorfkinder ebenso zu erfreuen wie die europäischen Damen.
Die Nacht war allerdings weniger harmonisch, um nicht zu sagen unruhig. Obwohl er sogar ein Moskitonetz hatte, hielt ihn das hohe Surren eines munteren Stechmückenschwarms wach. Ein widerwärtiges Geräusch. Fauth wälzte sich ebenfalls im Bett herum. Dann grummelte er vor sich hin, stand auf, steckte eine seiner dicken Zigarren an und paffte, was das Zeug hielt. Das half ein wenig, machte das Atmen aber nicht leichter.
Vom Hof her drang das Stampfen der Pferde in die Kammer. Einer der Esel begann zu schreien, als wolle er den ganzen Jammer dieser Welt beschreiben. Sein Stallgenosse fiel prompt ein.
Fritz Fauth fluchte und stand erneut auf. «Ich binde diesen liebeskranken Schreihälsen jetzt Steine an die Schwänze.»
Konrad Gabriel wälzte sich herum. «Und wozu soll das gut sein?»
«Wenn ein Esel schreit, hebt er immer den Schwanz. Und wenn er das nicht mehr kann, dann schreit er auch nicht», erwiderte der kleine Mann mürrisch. Er schien ebenso müde zu sein wie Konrad und nicht sonderlich geneigt, lange Erklärungen abzugeben. Kurze Zeit darauf stapfte er wieder ins Zimmer und richtete sich brummend auf seinem Lager ein. Bald hörte Konrad Gabriel ihn herzhaft schnarchen.
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