Die Konkubine
Das war auch nicht viel leiser als das Eselsgeschrei. Doch was die beiden Grauen anbetraf, so schien Fauths Steinaktion zu wirken. Vielleicht waren die Tiere aber auch von ihrem eigenen Gebrüll müde geworden.
Konrad hoffte, endlich auch eine Mütze Schlaf zu bekommen. Doch jetzt wurden die Hunde munter. Sie bellten einander zu. Bald darauf setzte das Konzert der Hähne ein, die mit ihrem durchdringenden Krähen den Morgen begrüßten. Die ersten Menschen im Haus regten sich. Er hörte das Rasseln von Ketten, das die Eimer begleitete, mit denen das Wasser aus dem runden Brunnenloch geschöpft wurde. Stimmen im Hof kündeten davon, dass die ersten Reisenden bereits aufbrachen. Konrad erkannte, dass er keinen Schlaf mehr bekommen würde. Fauth hingegen schlief noch; dann hörte er abrupt auf zu schnarchen, wickelte sich aus der Decke und sprang auf. Er war putzmunter. Nachdem sie sich ein leichtes Frühstück bereitet hatten, ging es weiter nach Tsinanfu.
Wieder bekam der ziemlich müde Gefreite Gabriel von Fauth eine Stunde in Landeskunde verpasst. Wenigstens vertrieb das seine bleierne Schläfrigkeit. Die Eisenbahn passierte Tschou tsun. Das war laut Fauth der größte Stapelplatz für Seide in der gesamten Provinz Schantung, aber auch Ausfuhrort für Strohgeflechte, Schaffelle und Glaswaren.
«Sie sind ein wandelnder Reiseführer», versicherte der Gefreite, der sich in der Tat für alle Einzelheiten des Landes interessierte, seinem Vorgesetzten. Dieser verzog keine Miene und saugte erneut am Mundstück seiner Pfeife, die überhaupt nicht mehr auszugehen schien.
Vor Tsinanfu mussten sie den Zug an einer kleinen Behelfsstation verlassen. Die Gleise der Schantung-Eisenbahn würden Tsinanfu erst im nächsten Jahr erreichen.
Durch diesen erneuten Halt bekam Konrad einen Einblick in das elende Leben der Wanderarbeiter. Teilweise schufteten bis zu 20.000 Menschen beim Eisenbahnbau. Manche lebten in Erdlöchern, die sie sich gegraben hatten, um wenigstens etwas Schutz vor Wind und Wetter zu haben. Je nachdem, wo gerade gebaut wurde, lebten einige auch in den Hinterhofherbergen der Dörfer. Den Arbeitern waren die Garküchen und Händler gefolgt, die sie mit dem Wenigen versorgten, das sie sich leisten konnten. Die Männer besaßen außer ihrem schmutzigen Anzug meist nicht mehr als noch ein Bündel weiterer Kleidungsstücke, das sie nachts als Kopfkissen benutzen konnten, sowie eine dünne Bettdecke.
«Betten haben sie nicht», meinte Fauth im Vorübergehen. «Sie schlafen auf dem Fußboden, entweder auf Strohmatten oder Holzplanken, wobei sie ihre Kleidung nie ablegen. Sie waschen sich weder am Morgen noch am Abend.»
Hin und wieder traf die Fremden ein Blick aus glanzlosen Augen. In monotoner Gleichförmigkeit zogen die Männer an ihnen vorbei, die Rücken gebeugt unter den Lasten in ihren Körben, die sie an langen Stangen zwischen sich trugen. Die Wachsoldaten beobachteten sie gleichgültig, als wären diese Männer nichts weiter als Ameisen, die sie vom Zubeißen abhalten mussten.
Konrad entdeckte die unterschiedlichsten Menschentypen. Solche mit dunklerer Haut, Kleinere, Grobschlächtige. Menschen aus allen Himmelsrichtungen Chinas und aus den unterschiedlichsten Völkerstämmen waren hier vertreten – sie alle waren zu Teilen einer anonymen Menge geworden. Doch zugleich waren es Väter, Brüder, Söhne, deren Zuhause vielleicht weit fort lag, die nur zu den Deutschen gekommen waren, um ihre Familien zu unterstützen. Menschen, die vielleicht Heimweh hatten. Wie er.
«Was verdienen diese Männer denn so?»
«Etwa 30, wenn es hoch kommt 35 Käsch am Tag», war Fauths Antwort.
«Ist das nicht sehr wenig?»
«Ohne uns hätten sie gar kein Einkommen.»
«Wie kommen diese Leute denn überhaupt hierher?»
«Oh, die Anwerbung erledigen die Vorarbeiter, so, wie das in den Haushalten der Europäer meist der chinesische Boy tut.
Dafür bekommen sie von den Leuten dann einen Anteil am Lohn.»
«Kann jemand wirklich davon leben?»
«Offenbar, das sehen Sie doch. Sie haben sowieso kaum Zeit, Geld auszugeben.»
«Wie lange müssen sie denn arbeiten?»
«Üblicherweise von 5 Uhr morgens bis 7 Uhr abends.»
«Und das alles für 30 Käsch! Zahlt die Eisenbahngesellschaft denn wenigstens die Verpflegung? Gleisarbeiten sind schwer, da brauchen die Leute etwas Anständiges zu essen.»
«Diese Chinesen sind genügsam. Die Eisenbahnarbeiter müssen alles selbst finanzieren. Aber sie kommen klar. Sie essen viel
Weitere Kostenlose Bücher