Die Korallentaucherin
Umweltwissenschaften ließen sie teilhaben an ihrem Wissen, an ihren Arbeiten und beantworteten ihre Fragen. Doch sie gingen häufig auf Forschungsreisen und Exkursionen, und wenn sie zurückkamen, redeten sie in der Kneipe über Orte und Erlebnisse, an denen sie keinen Anteil hatte. Jennifer fragte sich, wo in ihrem Leben sie eine besondere Nische finden könnte, die ihr allein gehörte.
Einmal sprach sie Vi gegenüber dieses Thema an, und Vi sagte: »Schätzchen, das ist alles schön und gut und interessant für dich, in gewisser Weise vielleicht sogar wertvoll, aber es ist nicht dein Leben. Deine Zukunft ist engstens mit Blair verknüpft. Der Kerl ist der Ernährer; meiner Meinung nach hat sich seit diesem Geschrei nach Gleichberechtigung und Frauenbewegung nicht viel verändert.« Sie sah, wie sich Jennifers Gesicht verschloss. Jennifer hielt Vi für altmodisch. »Glaub mir, du musst akzeptieren, dass es immer die Frau ist, die Kompromisse eingehen muss. Also, behalte das Ruder in der Hand und den Fuß in der Tür, aber sei darauf eingerichtet, alles hinzuwerfen, falls Blair eine Stelle in Wien, Paris, Bangkok oder Gott weiß wo annimmt.«
Jennifer und Blair kuschelten im Bett. Blair, befriedigt nach dem Liebesakt, war im Begriff einzuschlafen. Jennifer streichelte seinen Arm.
»Schatz, was hältst du von Kindern?«
»Wieso?«
»Na ja, wenn … Ich wollte sagen, vielleicht sollten wir versuchen …«
Blair riss die Augen auf. »Was soll das heißen? Jetzt doch nicht, oder?«
»Warum nicht?«
»Jennifer, sei nicht blöd. Wie kannst du überhaupt fragen? Ein Kind würde unser Leben, meine Berufsaussichten unglaublich behindern.« Blair war hellwach.
Jennifer spürte, wie sein Arm starr wurde. Sie zog die Hand fort. »Und meine Berufsaussichten?«
»Ach, komm, wenn du an Familiengründung denkst, kann es dir mit Vollzeitarbeit nicht allzu ernst sein. Und ein Kind kostet einen Haufen Geld. Wir haben noch Zeit genug.« Er hielt inne. »Langweilst du dich?«
»Ganz und gar nicht.« Sie rückte von ihm ab. »Ich dachte, ich könnte Muttersein und Uni sehr wohl vereinbaren. Viele Frauen schaffen das.«
Er hörte den Vorwurf in ihrer Stimme. »Jennifer, wenn du ein Kind bekommen würdest, müsstest du die Hauptarbeit bei seiner Betreuung leisten. Du kennst ja meine Arbeitszeiten. Es sei denn, du willst, dass deine Mutter ständig bei uns ist.«
»Wenn
wir
ein Kind bekommen würden. Dazu gehören zwei.«
»Lass uns ein anderes Mal darüber reden. Verdirb uns nicht den schönen Abend.«
Für dich war er schön; du hattest ein tolles Abendessen, das Haus ist sauber und aufgeräumt, du bist sexuell befriedigt und du willst an nichts denken, was dich Anstrengung kosten könnte.
»Vergiss es.«
Blair hielt das für das Beste. Er wälzte sich auf seine Bettseite und schlief sofort ein. Jennifer lag noch eine Weile wach und dachte über ihre Zukunft nach. Über ihre gemeinsame Zukunft.
»Schau dir das an. Eine Katastrophe!« Jennifer aß eine Scheibe Toast und verfolgte die Morgennachrichten im Fernseher. Der Hubschrauber des Senders flog an der Küste südlich von Sydney entlang, wo zäher brauner Schlamm den normalerweise glasklaren Ozean bedeckte.
»Was ist?« Blair hob den Blick von seiner Zeitung.
»Abwassereinleitungen. Da draußen fließt die pure Scheiße ins Meer. Es ist eine Schande.«
»Dann sollte man lieber am nördlichen Strand schwimmen gehen.« Blair wandte sich wieder seiner Zeitung zu.
»Blair! Darum geht es doch gar nicht. Hast du noch nie etwas von der Verseuchung im Umfeld von Abwassereinleitungen gehört? Inzwischen weiß man, dass Fische als Folge des Östrogengehalts in den Pillen, die in Toiletten heruntergespült werden und in unsere Meere gelangen, das Geschlecht wechseln oder ihre Fortpflanzungsorgane sich nicht richtig entwickeln.«
Blair lächelte. »Klar. Einer von den Köchen sagt, ein paar von den Fischen, die wir servieren, sind als Scheißer bekannt, weil sie ihre Nahrung in der Nähe von Abwassereinleitungen suchen.«
»Das ist widerlich. Das Meer ist keine Mülldeponie. Und die Regierung wie auch die Verwaltung sorgen sich nur darum, dass der Dreck nicht auf dem Strand landet.« Jennifer stellte ihre Müslischale in die Spüle. »Ich muss zur Uni.«
Im Lehrerzimmer des Fachbereichs Umweltwissenschaften fand nach den Morgennachrichten eine hitzige Debatte statt über die Einleitungen und die Gesundheit der Ökosysteme des Ozeans.
Einer der Beteiligten
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