Die Korallentaucherin
vorzustellen, wie sie dort ihre Zeit verbringen sollte. Tränen der Ratlosigkeit stiegen ihr in die Augen, und sie fragte sich, was sie wohl verbrochen hatte, um von allen Orten auf der Welt ausgerechnet diesen als Zuhause für die nächsten achtzehn Monate – mindestens – verdient zu haben. Und Zuhause bedeutete eine Suite im Hotel. Nicht einmal eine abgetrennte Unterkunft.
Blair schmiegte sich in der Nacht an ihren zusammengerollten Körper, nahm sie in die Arme und versuchte, ihre weinerliche Stimme zu ignorieren. »Alles wird gut, glaub mir. Ich weiß, du bist kein Mensch, der das Strandleben liebt, aber für mich ist es ein großer Schritt nach vorn. Unterstütz mich einfach, steh mir bei diesem ersten Engagement zur Seite, und dann finden wir eine Stelle in Europa. Irgendwo, wo es schön ist. Bestimmt.«
Jennifer kam sich engherzig und egoistisch vor. Und sie tat sich selbst leid. Das Gespräch mit Professor Dawn über ihren Umzug und die Zukunft ihrer Zusammenarbeit war katastrophal verlaufen. Der arrogante, nüchterne Professor verließ sich – mehr, als Jennifer ahnte – darauf, dass sie die wichtigen, aber trockenen Fakten seiner Arbeit über die Gefahren der Umweltverschmutzung in ein ausgefeiltes, gefühlsgeladenes Buch umsetzte. Nur widerwillig hatte er zugestimmt – weil ihm ja nichts anderes übrigblieb –, auf die Entfernung per E-Mail mit ihr zusammenzuarbeiten. Jennifer versuchte, so entgegenkommend und zuversichtlich wie nur möglich zu sein, denn für sie war diese Arbeit vermutlich die einzige intellektuell anregende Ablenkung, die sie auf der Insel finden würde, und der einzige Weg, ihre Karriere fortzusetzen und voranzutreiben.
Vi und Don luden mehrere Freunde zum sonntäglichen Mittagessen ein. Sie wussten, dass Jennifer bei dieser Gelegenheit Christina über ihren Umzug in Kenntnis setzen wollte. Blair musste arbeiten, und Vi und Don hofften, dass die Freunde wie eine Art Puffer wirken würden. Vi hatte vorgeschlagen, dass Christina selbst ein paar Arbeitskolleginnen oder Bekannte aus dem Tennisclub einlud.
»Also, Vi, warum sollte ich? Ich dachte, es wäre ein Essen im Kreis der Familie. Meine Tochter sehe ich sowieso selten genug. Immer ist sie in Eile, und ich will nicht, dass Fremde sie vereinnahmen.«
»Na ja, unsere lieben Freunde Harry und Joan kommen auch, die mögen Jennifer so gern, und ich dachte …«
»Natürlich, ich hatte vergessen, dass Jennifer sicher all eure Freunde kennt, nachdem sie hier viel Zeit verbracht hat, während ich allein war. Ich hätte so gern mit ihr geprahlt, wenn sie mich besuchte, aber sie hatte nie die Zeit für Geselligkeiten mit meinen Freunden.«
Jennifer hatte Vi vom Leben ihrer Mutter in der klaustrophobischen Stadt erzählt, wie Christina durch Klatsch in Geschäften, auf der Straße, in der Bibliothek und im Club immer bestens über die Leute informiert war, ohne jemals enge Freundschaften aufzubauen oder jemanden zu besuchen. Doch als Harry, ein Vogelfreund wie Don, und Joan, die mit Vi zum Bowling ging, eintrafen, zeigte Christina sich von ihrer charmantesten Seite, unterhielt sie mit Anekdoten und täuschte großes Interesse am Leben der beiden vor, während sie Jennifer nahezu ignorierte.
In der Küche flüsterte Jennifer Vi zu: »Wie soll ich es ihr sagen? Vielleicht sollte ich bis nach dem Essen warten, oder bis alle fort sind und wir beide allein miteinander sind. Aber sie wird endlos lamentieren und alles nur negativ sehen. Und ich selbst bin auch nicht gerade hellauf begeistert, doch das braucht sie nicht zu wissen. Wenn sie es in der Gegenwart anderer Leute erfährt, kann sie nicht so abwertend reagieren.«
»Ich flüstere Joan ein, dass sie dich nach deinen Plänen fragen soll«, schlug Vi vor. »Und dann spielst du aus dem Stegreif, Jen.«
Und so leitete Jennifer in der anscheinend unbeschwerten, lässigen Antwort auf die Frage ihre Ankündigung ein, bevor sie sich Christina zuwandte. »Wirklich merkwürdig, dass du fragst. Das ist die große Überraschung, die ich für meine Mutter habe.«
»Ich mag keine Überraschungen«, sagte Christina.
»Blair ist befördert worden. Er soll ein Urlaubshotel am Barrier Reef leiten. Sehr exklusiv und wunderschön. Wir freuen uns ja so!«
O Gott, dafür habe ich einen Oscar verdient.
»Auf einer Insel? Ihr wollt dort wohnen? Was willst du da?«, fragte Christina. »Wann müsst ihr dort sein?«
»Nun ja, das alles kommt ein bisschen plötzlich. Jemand ist krank
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