Die Korallentaucherin
Ich meine, wie lässt es sich mit deinem Leben vereinbaren? Hast du eine Familie?«
»Die Arbeit ist meine Leidenschaft. Ich könnte gar nicht anders, seit ich die Welt unter dem Meeresspiegel entdeckt habe. Ich habe meinen Mann ans Meer verloren …« Sie hielt inne, als sie das rasch wechselnde Mienenspiel Jennifers bemerkte. »Nein, nicht wie du deinen Vater und deinen Bruder. Mein Mann hat mich verlassen, und ich kann es ihm nicht verübeln. Er ist Banker.« Sie zuckte die Schultern. »Wir haben zwei nette Jungs. Sie sind verheiratet. Also … bin ich frei. Ich hoffe, das klingt nicht allzu egoistisch. Aber vielleicht ist es das. Und deswegen widme ich meine Zeit und meine Arbeitskraft den Belangen der Meere.«
Jennifer antwortete nicht gleich. Mit ein paar Sätzen hatte Isobel ihre Wahl zusammengefasst. Sie hatte ihr Leben verändert und fühlte sich ausgefüllt. Und sie war berühmt für ihre Hingabe und ihre inspirierende Arbeit. »Es klingt so einfach, wie du es sagst. Ich höre Geschichten darüber, wie Frauen ihr Leben umkrempeln … Ich wollte, meine Mutter wäre ein bisschen so gewesen. Sie ist ziemlich abhängig. Von mir, ihrem Bruder und seiner Frau. Was sie niemals eingestehen würde.«
»Und du, Jennifer? Was sind deine Pläne für die Zukunft, deine Träume, Ziele?«
»Ich bekomme ein Kind. Damit ist die unmittelbare Zukunft ausgefüllt, schätze ich. Es hängt von Blair ab.«
»Wieso?«, fragte Isobel weich. Als Jennifer nicht gleich antwortete, fügte sie hinzu: »Ein Kind zu bekommen bedeutet doch nicht, dass das Leben stillsteht. Ich habe die Zeit als sehr kraftspendend und bereichernd empfunden. In den frühen Schwangerschaftsmonaten habe ich einige meiner größten Herausforderungen bewältigt. Warum tust du es nicht auch?«
Jennifer warf einen Blick auf ihren Computer und dachte daran, dass sie bereits das letzte Kapitel von Professor Dawns Buch bearbeitete. Was sollte sie in den darauffolgenden Monaten mit sich anfangen? »Wenn das Kind erst auf der Welt ist, werde ich wohl genug Beschäftigung haben. Aber bis dahin – ich weiß nicht. Meine Möglichkeiten sind ein bisschen beschränkt.«
»Unsinn. Da draußen wartet eine ganz unglaubliche Welt. Du kannst helfen, ihre Zukunft zu sichern. Du hast Ökologie studiert, du kannst uns helfen.« Isobel sprang aus ihrem Sessel auf und ergriff Jennifers Hand.
»Nein, nein. Du sprichst von Meeresbiologie … Das kann ich nicht. Das Meer macht mir Angst. Ich habe im Buschland mit den Nationalparks zusammengearbeitet, und das hat nichts mit Inseln, Riffen, dem Meer zu tun …« Jennifer schüttelte den Kopf. Panik stieg in ihr auf. Isobel war so lieb und freundlich, aber ihre Persönlichkeit war überwältigend.
»Jennifer, du hast die Wahl im Leben. Greif zu oder lass es. Ich zeige dir einen Weg. Es geht ja nicht um Tauchen über dem Kontinentalschelf oder so.« Sie zog Jennifer auf die Füße, hakte sie unter und zog sie mit sich nach draußen. »Meinst du nicht auch, dass Menschen einander aus bestimmten Gründen über den Weg laufen und kennenlernen?«
»Mag sein«, antwortete Jennifer zögernd. Doch eine innere Stimme drängte sie fortwährend:
Hör auf sie, hör zu.
Sie schlenderten in den Sonnenschein hinaus. »Man kann einen neuen Menschen kennenlernen, man kann aber auch eine Beziehung zu einem neuen Menschen herstellen. Verstehst du den Unterschied?«
»Ja.«
Mac. Gideon. Tony. Du. Eine Beziehung, ein undefinierbares Etwas.
»Bist du glücklich, Jennifer? Wachst du morgens auf und kannst es nicht erwarten, aufzustehen und den Tag zu beginnen …«
»Eigentlich nicht.« Jennifer lachte auf. »Ich kann mich nicht erinnern, jemals so empfunden zu haben. Na ja, vielleicht, als ich noch klein war. Bevor ich meinen Vater und meinen Bruder verlor.«
»Und was ist mit deinem Mann?«
»Er ist sehr ehrgeizig. Seine Karriere ist ihm vorgezeichnet. Er liebt seinen Beruf.«
»Und du? Liebt er dich?«
Sie gingen an Macs Haus vorbei und folgten dem Weg, der zur Ferienanlage führte. Isobel hatte Jennifer immer noch untergehakt.
»Ja.« Ihr war unbehaglich zumute. »Es wäre ziemlich schlimm, wenn er mich nicht mehr liebte. Schließlich erwarten wir ein Kind.«
»Und er ist glücklich, begeistert über dein Baby?« Isobel spürte, wie Jennifer sich leicht versteifte, löste ihren Arm und rückte Hut und Sonnenbrille zurecht. »Ich frage zu viel. So bin ich nun mal. Wir sind neugierige Menschen.« Doch sie sah Jennifer an und wartete
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