Die Kornmuhme (German Edition)
Erde kreuchte und fleuchte.
Sicherlich, es gab Menschen, das
war ihnen klar durch die Legenden, die sie sich erzählten, und in den Liedern
sangen sie von ihnen. Ebenfalls wussten sie von so einigen Tiergattungen des
Waldes, und auch, dass es Waldgeister gab. Doch dann begannen auch schon die
Spekulationen darüber, wo und ob es Hexen und Zauberer gab, Nixen und Elfen,
und wie diese Geschöpfe wohl aussehen mochten. Und schon die Vögel hoch oben in
den Baumwipfeln, waren den Zwergen so fern, dass sie nicht einmal wussten, dass
diese dort oben Nester bauten.
Baldur hingegen wusste so Einiges
mehr als sein engstirniges Volk. Auf den Wanderungen, die er in seiner Jugend
unternommen hatte, hatte er das Territorium rund um die Kaulen unten am Rhein
erkundet, mitsamt seiner Bewohner. Penibel hatte er Buch geführt und jedes Tier
und jede Pflanze dokumentiert, die ihm untergekommen war.
Allerdings stand er mit dieser
merkwürdigen Freizeitbeschäftigung nun wahrlich ziemlich alleine da, und schon
seit Jahren tuschelten die Nachbarn über ihn.
Er hatte 12 Kinder. Ihre Namen
hatte allesamt seine Frau Gulda bestimmt. Doch der nächste kleine Runkel, der
das Licht der Welt erblickte, so war sich Baldur sicher, sollte tatsächlich den
Namen Sonnwin tragen. Er musste nur noch ein paar Grabenkämpfe mit Gulda
ausfechten, die sich vehement gegen diese äußerst peinliche Schmähung wehrte, und
niemals zulassen wollte, dass eines ihrer Kinder so einen unmöglichen, ja
geradezu ehrabschneidenden Namen trug.
Was sich ein anständiger Zwerg
nannte, trieb sich nicht an Oberflächen herum und hielt sich ausschließlich und
mit größter Vorliebe sogar in den Höhlen und dem gigantischen Stollensystemen
Swartalfheims auf, die das Volk der Unterirdischen über Jahrtausende hinweg
geschaffen hatte.
Insgeheim verwünschte Gulda
manchmal den Tag, an dem sie Baldur zum Mann genommen hatte. Sie war damals
noch jung, und – ein paar hundert Jahre mochte es her sein – so verliebt
gewesen, dass sie seine Seltsamkeiten und die, zunächst unscheinbar wirkenden,
Macken sogar ganz entzückend gefunden hatte. Dass diese einmal eine schwere
Bürde für sie werden würde, konnte sie damals noch nicht ahnen. Ihr Vater, ein
Stammesführer aus dem Norden Swartalfheims, hatte ihr ebenfalls gut zugeraten,
da die Sippe der Runkel durch ihren Mut, ihren Reichtum und ihre Gewitztheit
bis weit über die Grenzen des Reiches bekannt waren.
Ein Ur-Ur-Urahne Baldurs war mit
seiner Zauber- und Schmiedekunst sogar bei den Menschen berühmt geworden. Es
war überliefert, dass der zauberkundige Albuin Runkel eine fantastische Fessel
gefertigt hatte, mit der der unendlich starke Fenriswolf, der laut der Sage
damals die Menschheit quälte, eingefangen werden konnte. Die Fessel war
geschmiedet aus Gold und sechs weiteren Dingen aus den Wurzeln eines Berges,
dem Atem eines Fisches, dem Geräusch des Tritts einer Katze, dem Bart eines
Weibes, dem Speichel eines Vogels und der Sehne eines Bären. (2)
Der merkwürdige Nachkomme dieses
unvergessenen Helden - der „Freund der Sonne“ - lümmelte unweit von einem
versteckten Höhleneingang im Schutze einer großen Buche. Sonnenflecken tanzten
über seinen Körper, wenn der Wind das Blätterdach hoch über ihm hob und senkte.
Dass sein Traum von wilden Abenteuern bald Wirklichkeit werden würde, und er
Dinge erleben und sehen würde, die er sich nicht in seinen kühnsten Tagträumen
hätte ausmalen wollen, das wusste der kleine Sonnwin noch nicht, doch er würde
es bald erfahren…
Reise
15
Arons Herz klopfte ihm bis zum
Halse, als er in den Raunewald hineinritt. Er war zu Reinulfs Stall gelaufen
und hatte sein Pferd genommen. Er wusste die grobe Richtung, und war nach einem
quälend langen Abschied von Ranja endlich losgeritten.
Jeder Schritt in den Wald hinein
machte ihm mehr Angst. Wie konnte er sichergehen, dass der Stein ausreichen
würde? Zwar spürte er den eisernen Griff um seinen Geist, doch er wusste zu
wenig darüber, wie genau er ihm helfen konnte und wann der Schutz an seine
Grenzen kam. Gott sei Dank war es früher Morgen. Er hatte also genug Zeit. Die
Hexe wandelte nur Nachts leibhaftig durch den Wald, und vor ihrem
umherwandernden Geist schützte ihn nun der Stein.
Er gab seinem Pferde die Sporen
und preschte los. Jeder Meter, den er jetzt hinter sich ließ, bedeutete einen
Meter näher am rettenden Waldrand. Wenn er richtig gerechnet hatte, musste er
am späten Morgen dort
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