Die Kornmuhme (German Edition)
Wütendes an sich. Manchmal machte sie ihr Angst. Idas Gesicht war
ausdruckslos, aber hinter ihren Augen schien ständig etwas mit Ranja Kontakt
aufnehmen zu wollen. Ranja fand, dass sie regelrecht stierte. Was es war,
konnte Ranja nicht sagen. Manchmal fühlte sie sich eingeschüchtert von dem
Blick der Magd. Dann wiederum glaubte sie, darin einen Schrei nach Hilfe zu
erkennen.
Aber was hätte Ranja schon tun
können? Ihre Familie besaß zwar mehr Land und hatte gute Kontakte, aber auch
sie mussten im Winter zusehen, wie sie über die Runden kamen.
Was es auch war, Ida war ihr
unangenehm geworden, und sie mochte sie nicht.
>>Kind, komm zu uns<<,
sagte Mara mit gebrochener Stimme, und streckte ihr die dürre Hand entgegen.
Sie war halb erblindet und so alt,
dass Ranja sich nicht erinnern konnte, sie jemals jünger gekannt zu haben. Ihr
winziger Körper steckte in viel zu großen Kleidern. Ein Auge war grau und
schielte. Das andere war jedoch noch lebendig. Ranja ging langsam auf ihre Ähnl
zu und nahm ihre Hand.
>> Möchtest du etwas Brei?
<<, fragte diese, als Ranja immer noch nichts sagte.
Ranja schüttelte stumm den Kopf.
>>Doch mein Kind, setz
dich<<, sagte sie bestimmt und winkte Ida ungeduldig herbei.
Ranja war übel, und es drehte sich
alles um sie herum. Sie konnte sich nicht vorstellen, jetzt etwas zu essen.
Trotzdem setze sie sich gehorsam an den großen Tisch.
Mara, die sicherlich auch etwas
essen wollte, dämmerte allerdings schon wieder weg. Ihr Kopf sank langsam auf
die Brust, und bald konnte man ein leises Schnarchen vernehmen.
Die Stube war groß. Nicht zu
vergleichen mit der kleinen Hütte, in der Ranja aufgewachsen war. Das Gehöft
der Tante war das größte in Urmitz. Sie hatte einiges an Vieh, Kühe, die Milch
gaben, Ziegen und Hühner. Sie konnte Käse, Milch und Eier gegen Brot tauschen,
und im Sommer baute sie auf ihrem großen Landstück so viel Gemüse an, dass sie
gutes Geld sparen konnte, um im Winter zuzukaufen und ihren ganzen Keller voll
Einmachgläser zu stellen. Hier hatte Ranja eine glückliche Kindheit verbracht –
damals, als noch alle lebten. Wie unbeschwert diese Tage gewesen waren. Sie
hatte nicht ahnen können, dass es einmal so enden würde.
Sie schob diese Gedanken beiseite
und beobachtete, wie Ida den gefüllten Teller vor ihr abstellte. Dann zog sich
die Magd zurück.
Aron kam herein. Er war erwacht,
sobald Ranjas glühender Körper nicht mehr neben ihm gelegen hatte. Er ging auf
sie zu, setzte sich neben sie an den Tisch und nahm sie in den Arm. Er hatte
das starke Gefühl, für sie da sein zu müssen, was ihn sehr schmerzte, hatte er
doch in dieser Nacht entschieden, dass es endgültig aus sein musste mit der
Hex‘, und dass er nicht länger zur Untätigkeit verdammt, in diesem Dorf hocken
durfte. Er würde sich aufmachen, das war sicher. Gleichzeitig quälte ihn tiefe
Trauer bei dem Gedanken, Ranja jetzt alleine lassen zu müssen. Sie wirkte
hilflos wie ein Kind, und genau das war sie auch wieder geworden, trotz ihrer
18 Jahre - ein verlorenes Kind.
Nach einiger Zeit löste Aron Ranjas
festen Griff und schaute ihr in die Augen.
>>Ranja, so leid es mir tut,
ich muss dir etwas Wichtiges sagen, und du musst mir nun genau zuhören!
<<
Er nahm sie bei der Hand und
führte sie zurück in die Kammer. Er blickte lange nach draußen. Die dicke
Wolkendecke verhüllte die noch kraftlose Sonne. Aron erinnerte sich an die
Tage, an denen seine Brüder gestorben waren. Auch damals war es düster gewesen,
so als wollte der Himmel seinen Anteil zum Grauen beitragen.
>>Du weißt, was ich zu tun
habe! <<, begann Aron.
Sie schwieg und blickte ihn nur
stumm an.
>> Liebste, verzeih mir,
David… <<, er blickte auf den Boden, weil er sich schämte.
>> Das alles darf nicht
ungesühnt bleiben. <<
Sie reagierte nicht. Dies war der
Tag, an dem sie beschloss, nie wieder zu sprechen. Sie betrachtete ihn mit
stillem Vorwurf. Da griff er in seine Hemdtasche und holte einen Beutel hervor.
Als er ihn öffnete, tauchte er seinen Finger in das Pulver darin.
>> Bitte, tu mir einen
Gefallen und vertraue mir. Iss dieses Pulver, und wir können uns im Traum
begegnen<<, sagte er und hielt ihr den Finger mit dem Puder entgegen. Sie
tat es, jedoch teilnahmslos, so als hätte sie ihm gar nicht zugehört und setzte
sich dann auf ihr Bett.
Aron wollte noch etwas sagen, aber
er ließ es bleiben. Er hatte Schuldgefühle. Es war zwar Reinulfs Idee gewesen,
den Jungen loszuschicken,
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