Die Kornmuhme (German Edition)
sie über ihn tuschelten und lachten, so wusste Sonnwin, waren
immer schon nicht wenige unter ihnen gewesen, die Respekt vor ihm hatten.
Niemand wagte es hier hoch zu
kommen. Unter den Zwergen hatten sich Mythen gebildet über gigantische
Greifvögel und Wölfe, die an den Höhleneingängen saßen und nur darauf warteten,
dass ein Troll oder ein Zwerg herausgekrabbelt kam. So gesehen war er der
mutigste Zwerg im ganzen Reich – alleine schon die Tatsache, dass er hier oben
war, machte ihn dazu.
Dies wiederum war jedoch für diese
Reise bedeutungslos, denn im Vergleich zu einem Menschen war sogar der mutigste
Zwerg ein heilloser Angsthase. Den Zwergen waren Eigenschaften anheim, die sie
nie ablegen würden können. Sie waren ängstlich und feige, verschroben und
unangenehm hinterhältig. Sicherlich traf dies nicht auf alle im gleichen Maße
zu. Auf den einen mehr, auf den anderen weniger.
Sonnwin hatte von allem eine gute
Portion abbekommen. Allerdings hatte er zusätzlich noch eine angeborene
Neugierde, die, sobald sie ihn überfiel, so stark ausgeprägt war, dass sie ihn zeitweise
alles vergessen ließ. Früher war er deshalb einmal sogar nur knapp dem Tode
entgangen. Er hatte ein Karnickel gesehen und sich auf leisen Sohlen an es
herangeschlichen, als über ihm ein riesiger Greifvogel erschien. Sonnwin hatte
sich fallengelassen, sobald der Jäger herabstieß. Doch anstatt, dass der Vogel
ihn ergriff, packten seine Krallen das Karnickel vor ihm und rissen es mit sich
in die Höhe.
Ob es der Greif vielleicht von
vorneherein eher auf das Tier als auf ihn abgesehen hatte, was eigentlich
wahrscheinlicher war, und dass es sich noch gut 30 Fuß entfernt von ihm
befunden hatte, verschwieg er bei seinen Erzählungen. Es hätte die Spannung
verwässert.
Endlich löste er sich aus dem
Schatten und tapste vorsichtig ein paar Schritte in den Wald hinein. Bald kam
er sich unglaublich mutig vor, auch wenn ihm sein Herz fast bis zum Halse
schlug. Er wollte sich von nun an nur noch Sonnwin nennen und wenn er
wiederkehrte, wollte er Sonnwin zu seinem ersten Vornamen machen. Wenn sie ihm
zu Ehren dann ein Denkmal errichten würden, so sollte darunter stehen: Sonnwin
Baldur Runkel, Befreier Swartalfheims. Es knackte im Gehölz, und der eben noch
so Mutige sprang mit einem Aufschrei hinter die nächste Wurzel.
Der Befreier Swartalfheims
brauchte Ewigkeiten, bis er die erste, ihm unbekannte Lichtung erreicht hatte.
Regelmäßig erschreckte er sich und warf sich der Länge nach in ein Gebüsch oder
in einen Laubhaufen. Er kam sich jedes Mal alberner vor. Wenn das so
weiterginge, dachte Sonnwin, so würde er den Fluss erst in einigen Wochen
erreichen und sich zum Gespött des ganzen Zwergenvolkes machen.
>>Baldur Sonnwin Runkel,
Befreier Swartalfheims, wird nie berühmt, weil er nie irgendwo ankommt
<<, schnaubte er wütend vor sich hin. Nein, das konnte nicht sein. Das
durfte nicht sein! Er hielt einen Moment lang inne und versuchte seine Gedanken
zu bezwingen. Menschen liefen auch durch den Wald, dachte er, und ja, sie waren
größer als er. Er ging einem Menschen gerade einmal bis zur Hüfte. Trotzdem
würde weder ein Mensch, noch ein Zwerg innerhalb einer Stunde in diesem Wald
einem Raubtier zum Opfer fallen. Zudem hatte er ja auch noch seine magischen
Kräfte. Sie ersetzen ihm die Größe eines Menschen und verschafften ihm im
Vergleich sogar noch einen Vorteil.
Nach einiger Zeit gelang es ihm
endlich, sich selbst zu beruhigen und seine Fluchtreflexe zu unterdrücken. Zwar
schritt er trotzdem noch sehr hasenfüßig durch den Wald und zuckte bei jedem
kleinsten Geräusch zusammen, aber er machte sich. Nach etwa drei Stunden lief er
stolzen Schrittes durch den sonnigen Wald und pfiff sogar ein Liedchen. Auf
seiner Schulter wippte ein Proviantbeutel an seinem Wanderstock auf und nieder.
Er hatte einen Köcher mit Pfeilen auf den Rücken geschnallt und Alvis Langbogen
dazwischen gesteckt. Dieser, und ein Kurzschwert an seiner Hüfte, waren seine
einzigen Waffen.
Baldur dachte an Gulda. Seine Frau
hatte ihm aus dem Allerlei ihres Großvaters noch ein paar Dinge mitgegeben, die
ihn auf der Reise schützen sollten. Trotzdem hatte sie sich im Zorn von ihm
getrennt. >>Da siehst du, was du angerichtet hast! <<, hatte sie
ihm entgegengezischt, als sie von seinem Auftrag erfuhr. >>Und wenn dir
etwas zustößt, was ist dann? Was soll ich unseren Kindern sagen? <<
Er bedauerte, dass sie sich so von
ihm verabschiedet hatte. Seine
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