Die Kornmuhme (German Edition)
herauszufinden, aus welchem Material sie geschaffen war, und ging näher ans
Feuer, um mehr Licht darauf fallenzulassen. Doch auch hier konnte er es nicht
so recht feststellen.
Also gut, dachte er. Er würde es
wagen. Aber er würde es sich nicht einfach so um den Körper binden, da es ihm
zu sehr ins Fleisch schneiden würde, wenn die Strömung auf seinen Körper
drückte. Er würde es festhalten und seinen Arm mit seinem Fellumhang umwickeln,
so dass ihn die Schnur nicht verletzen konnte, wenn er sie sich umband. Er
löste die geschmeidige Schnur vom Pfeil und knotete das Ende um ein größeres Stück
Holz, das er gut in der Hand halten konnte. Dann zog seinen Umhang aus und
wickelte ihn um seinen rechten Arm. Er schlang die Schnur mehrfach darum und
hielt den Stock mit dem Ende in seiner Hand.
Als er die Wärme des Feuers
verließ, und in die eiskalten, dunklen Fluten ging, kroch Angst in ihm hoch. Er
stöhnte laut und schlug wild mit Armen und Beinen, um seine Muskeln zu
erwärmen. Schwimmen konnte er gut. Er hatte als Kind oft im Mühlteich seine
Bahnen gezogen und hatte nach Teichmuscheln getaucht. Er konnte lange die Luft
anhalten, wenn es drauf ankam. Aber er schwamm ins Ungewisse, unter ihm nur
Dunkelheit.
Das Wasser, das seine Kleider
durchdrang, umschloss seinen Körper mit eisigem Griff und erschwerte ihm
zusehends das Atmen. Die Schnur zog ihn mit erstaunlicher Schnelligkeit durch
die Fluten, und er versuchte, mit kräftigen Beinstößen so gut wie möglich
mitzuarbeiten. Wenn das ein Zwerg war, der da zog, musste es ein erstaunlich
kräftiger, kleiner Mann sein.
Plötzlich hörte über sich vom
Felsen her einen Singsang. Erst war es noch sehr leise und er traute seinen
Ohren nicht. Dann aber wurde es lauter. Er suchte mit den Augen erst den dunkel
vor ihm aufragenden Felsen, dann die im Mondschein glitzernde Wasseroberfläche
nach dem Ursprung des schönen Gesangs ab, konnte aber nichts erkennen.
Bald war er völlig gefangen von
dem wundervollen Gesang der mit einem Mal aus der Tiefe zu kommen schien. Er
wollte das Wesen sehen, das so wunderbar singen konnte. Er fixierte sich immer
mehr auf diese wunderschöne Stimme, und schon bald begann er weniger kraftvolle
Schwimmstöße zu machen, auch wenn die Schnur ihn mahnend weiter zog.
Sobald er die Mitte des Flusses
erreichte, wurde er mit der gewaltigen Strömung mitgerissen, die dort besonders
gefährlich und stark war. Er trieb immer schneller ab und hätte die Schnur ihn
nicht gehalten, so wäre er fortgerissen worden. Mit aller Kraft versuchte er,
sich an der Oberfläche zu halten. Die Schnur zog ihn nun eigenständig, da seine
Schwimmbewegungen gegen die Strömung nichts mehr ausrichten konnten. Er hatte
schon genug damit zu kämpfen, seinen Kopf über Wasser zu halten. Ab und zu
schluckte er Wasser, und Panik stieg in ihm auf. Dann plötzlich hörte er wieder
die schöne Stimme tief unter sich, diesmal etwas lauter, und er vergaß seine
Angst.
Auch Sonnwin kämpfte einen
einsamen Kampf. Er hatte die Fenrisschnur durch eine kleine Seilwinde gezogen,
die er mit dicken Kordeln an dem starken Ast einer Weide neben seiner
Feuerstelle befestigt hatte. Trotzdem ächzte er unter dem Gewicht, das er Stück
für Stück an sich heran zog. Er betete zu den Ahnen, dass der Mensch vielleicht
schon einmal von der Lurley gehört haben mochte, und ihr nicht ganz
unvorbereitet begegnete. Hoffentlich hatte er sich den Fenris um den Körper
gebunden und hielt das Schnurende nicht nur einfach in Händen. Wie dumm sie
waren diese Menschen. Er fluchte innerlich, dass sein Gefährte für das
Abenteuer seines Lebens ausgerechnet eines dieser unkultivierten, tölpelhaften
Geschöpfe sein musste.
Sonnwins Augen konnten in der
Dunkelheit gut sehen – schließlich war er ein Erdling, der sich in dunklen
Höhlen gut zurechtfinden musste. Er sah Aron immer wieder mit dem Kopf
untertauchen, während er ihn schwitzend und keuchend zu sich hinüber zog. Auch
ihm schnitt der Fenrisfaden in die Haut, aber er hatte grobe Zwergenhände mit
Hornhaut, die ihn schützte. Trotzdem konnte er sich Angenehmeres vorstellen.
Angestrengt blickte er auf die
Wasseroberfläche, auf der er den Kopf des Jungen bisher immer im Blick gehabt
hatte. Mit Entsetzen begriff er jedoch nun, dass Aron untergetaucht sein
musste. Er lauschte, und tatsächlich entstieg dem Rauschen und Glucksen in der
Ferne ein Gesang, der so verzaubernd schön war, dass selbst ein Erdling wie er
Mühe hatte, sich
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