Die Kornmuhme (German Edition)
Kinder jedoch – Sonnwin lächelte – sie waren das
erste Mal stolz auf ihren Vater gewesen…
29
Aron lief nun schon den ganzen
Tag. Er hatte die Nacht im Turm des Zagel verbracht. Zunächst war dieser
verschwunden, so dass Aron schon daran zweifelte, dass der Waldschrat sein
Versprechen einlösen würde.
Dann war Zagel wieder gekommen,
und Aron hatte seinen Geschichten gelauscht. Der Waldgeist war geradezu
redselig gewesen und hatte aus seinem Leben erzählt, hauptsächlich von spannenden
Wettstreits und natürlich von seinen Erfolgen. Aron hatte den Eindruck, dass
Zagel sehr einsam war, und dass er froh war, mit jemanden reden zu können. Er
hatte geduldig zugehört, in der Hoffnung, dass der Waldgeist irgendwann endlich
zu dem Punkt gelangen würde, wie Arons Reise nun weiter gehen sollte.
Es war tief in der Nacht, als er
Aron dann endlich sagte, was er zu tun hatte. Aron sollte runter zum großen
Fluss gehen, dort wo der Felsen der Lurley auf der anderen Seite empor ragte.
Er beschrieb ihm den Weg und den Felsen, den man schon von weitem sehen konnte.
Einer aus dem Zwergenvolk von der anderen Seite würde Aron in seine Obhut
nehmen. Auch von einem Pfeil mit einer Schnur sprach Zagel. Der Zwerg sollte
ihn zu den drei Nornen führen, die weit im Westen unter der Wurzel eines
uralten, riesigen Baumes lebten. Sie würden Aron sagen können, wo sich das Feld
der Kornmuhme befand.
Auf diesem Feld blühte Korn, aber
auch die Seelen aller Hexen, so hatte ihm Zagel gesagt. Aron fand die
Vorstellung befremdlich. Er musste die eine Blume finden, in der die Seele der
Gryla lebte, und diese ausreißen. Dann würde sie sterben und ihr Körper wie
eine leere Hülle in sich zusammen sinken. Wie er die richtige Blume ausmachen
konnte - eine unter vielen - wollte Zagel ihm nicht verraten. Nur dass sie blau
war. Aron fand das nicht fair, aber er hielt sich zurück. Auch von den
Gefahren, die in diesem Feld auf ihn lauern würden, erwähnte Zagel nichts.
Als die Sonne aufging, verschwand
der Schrat, und Aron beschloss, sofort aufzubrechen, auch wenn er so in dieser
Nacht kein Auge zugetan hatte und er sich vollkommen ausgelaugt fühlte. Der
seltsame Zwerg, den das Feuer so entstellt hatte, lebte noch und stöhnte ab und
zu in seiner Ohnmacht. Unter seinem verkohlten Hemd glomm ab und zu etwas
Blaues auf. Aron erschauerte vor diesem Anblick und hatte Angst, neben ihm
einzuschlafen. Wer wusste schon, wozu er vielleicht doch noch in der Lage war!
Zagel würde ihm sicherlich nicht noch einmal zu Hilfe kommen.
Nachdem er ein großes Stück Brot
gegessen hatte, schulterte er seinen Rucksack, trat hinaus in die
mondbeschienene Landschaft und trank noch etwas am kleinen Bach nahe dem
Raunewald. Dann füllte er seine kleine Wasserflasche aus Hirschleder aufs Neue
und ging los in die Richtung, die Zagel ihm gedeutet hatte.
Auch wenn er unendlich müde war,
konnte er sich nicht satt sehen an der Landschaft, durch die er nun lief. Noch
nie hatte er solche blühenden, grünen Wiesen gesehen, noch nie so viele Vögel
gehört, die nun, da die Sonne langsam aufging, den Morgen mit ihren Liedern
begrüßten. Keine Wolke war am Himmel zu sehen, und die Luft trug den Duft von
erblühtem Flieder zu ihm herüber. Etwa um die Mittagszeit erreichte er einen
Abhang, der ihm einen Blick ins Tal gewährte. Er stand lange und staunend
einfach nur so da.
Das ganze Rheijntal erstreckte
sich vor seinen Augen. Diese Weite! Der Fluss lag weit unter ihm, und da sah er
auch schon den Felsen, dessen Form ihm Zagel genauestens beschrieben hatte!
Tränen stiegen in seine Augen, als er an Ranja dachte – daran, dass sie nicht
so frei sein konnte, wie er. Doch dann atmete er tief durch. Der Anblick gab
ihm auch neue Zuversicht und erfüllte ihn mit Hoffnung. Unter einem Baum ließ
er sich nieder, um sich nur kurz auszuruhen. Sofort umhüllte ihn eine warme
Welle der Müdigkeit, und ein angenehmes Kribbeln erfüllte seine Glieder. Er
schaute in die wogenden Blätter über sich, und die Lider wurden ihm schwer.
Wohlige Träume schlichen sich
leise in seine Gedanken an Ranja, und auch das Vogelgezwitscher, das Zirpen der
Grillen und der Duft der Wiesen mischten sich hinein.
Nach ein paar Stunden erwachte
Aron. Der Nachmittag war gekommen, und die Sonne warf lange Schatten. Er fühlte
sich erfrischt, war jedoch auch beunruhigt, dass er so viel Zeit verloren
hatte. Noch einmal aß er von seinem Brot und machte sich dann eilig auf den Weg
bergab die
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