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Die Kornmuhme (German Edition)

Die Kornmuhme (German Edition)

Titel: Die Kornmuhme (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H. Schreiber
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gesehen hatte. Nur ein ungutes Gefühl blieb in ihm zurück. Trotz
seiner inneren Aufgewühltheit versuchte er, sich noch einmal in seine weichen,
moosgefüllten Kissen zu kuscheln, um wieder einzuschlafen. Er blieb jedoch
wach.
    Die bevorstehende Reise ließ ihn
nicht zur Ruhe kommen. Er entzündete eine Kerze und taperte gähnend aus der
Schlaf- in die Wohnhöhle. Nebenan hörte er seine Kinder. Manche redeten im
Schlaf, andere schnarchten ein wenig oder gaben gar keinen Laut von sich. Er
hob die Kerze über seinen Kopf und schaute zu ihnen herein. Er freute sich
immer, wenn er sie schlafen sah. Sie wirkten dann so unschuldig, und es ließ
ihn ihre manchmal fürchterlichen Zankereien vom Tage vergessen.
    Er lief weiter in die kleine
Bibliothek, die er sich über die Zeit angelegt hatte. In ihr leuchtete es
bläulich. Auf dem Tisch in der Mitte des Raumes stand ein Gefäß aus Glas. In
ihm glomm auf einem schwarzen Stein ein blaues Licht. Alvis hatte Sonnwin die
Unendliche Flamme mit den feierlichen Worten übergeben, dass vor ihm noch kein
anderer Swartalfheimer dieses Licht in Händen halten durfte. Es brannte schon
seit Jahrtausenden und war das einzige Feuer, das dem Feld der Muhme etwas
anhaben konnte. Er sollte es mitnehmen auf seine Reise.
    Er trat näher und berührte die
Kugel. Sie war unerwartet kühl. Dieses Feuer brauchte keine Luft zum Atmen. Es
zehrte von Schlechtigkeit und Boshaftigkeit, und alles Böse, das ihm zu nahe
kam, verbrannte auf der Stelle. Die Glaskugel hatte an ihrer Seite eine
kreisrunde Öffnung, die mit einem goldenen Kläppchen verschlossen war, in das
kunstvoll winzige Ornamente eingearbeitet waren. Neben der Kugel lag eine
Fackel. Ihr Kopf war mit einem schwarzen, mit Flüchen und Unglück getränkten
Lappen umhüllt, der das Feuer aufnehmen sollte, sobald Sonnwin das Feld
erreichte. Er musste diese Fackel dem Menschen in die Hände geben, und wenn er
schlau war, so entzündete er das Feld und befreite sein Volk und alle anderen
Völker von den Plagegeistern dieser Welt.
    Sonnwin war sich sicher, dass es
ein Leichtes sein würde, den Menschenjungen zu überzeugen, dies zu tun.
Sicherlich war er ihm sogar unendlich dankbar und fühlte sich geehrt, eine
solch‘ mächtige Waffe vom Volk der Zwerge überreicht zu bekommen. Trotzdem
machte Sonnwin sich Sorgen. Die bevorstehende lange Reise, die Unwägbarkeiten.
Er war nicht mehr der Jüngste. Sein Entdeckerdrang hatte seit seiner Jugend
stark nachgelassen. Gewiss, berühmt wollte er werden! Aber musste seine Reise
so lang sein?! Ygdrassil lag mehrere Tagesmärsche von hier entfernt, eine
unfassbar große Distanz für einen Zwerg, der es von Natur aus hasste, weite
Strecken zurückzulegen.
    Er nahm eine große,
zusammengerollte Karte aus seinem Bücherregal und breitete sie auf dem Boden
vor sich aus. Der Rhein war der beste Orientierungspunkt. Dort sah er den
Felsen der Lurley, zu dem er gehen musste. Von Alvis hatte er einen mit Silber
beschlagenen Bogen bekommen. Den Ahnen sei Dank, war er schon immer ein guter
Schütze gewesen, denn eine schwierige Aufgabe wartete auf ihn. Der Mensch kam
von der anderen Seite des Flusses und musste irgendwie über den reißenden Strom
kommen. Warum Riebzagel ihn gerade am Felsen der Lurley über das Wasser
schickte, blieb Sonnwin ein Rätsel. Dies konnte nur aus purer Boshaftigkeit
geschehen sein. Der Lurleyfelsen war die gefährlichste Stelle, die Zagel sich
hatte aussuchen können, und Sonnwin hatte dafür nur die Erklärung, dass der
Waldgeist nicht wollte, dass der Mensch lebend das andere Ufer erreichte.
    Sonnwin sollte nun, wenn der Abend
des nächsten Tages einbrach, am Fuße des Lurleyfelsens ein Leuchtfeuer
entzünden. Auch der Junge sollte das auf der gegenüberliegenden Seite tun. Mit
Alvis Bogen würde Sonnwin dann den Fenrisfaden zu ihm hinüberschießen, um den
Jungen damit zu sich herüberzuziehen. Der Fenrisfaden war seit vielen tausend
Jahren im Besitz der Zwerge und eines ihrer größten Errungenschaften. Der Sage
nach hatten die Götter sich damals mit einer Bitte an das Zwergenvolk gewandt
und den kunsthandwerklichen Auftrag erteilt, eine feine aber unzerreißbare
Schnur zu erschaffen, die den unbesiegbaren Fenriswolf würde einfangen können.
Tatsächlich war diese Schnur aus einem erstaunlichen Material gefertigt.
    Sonnwin hatte immer und immer
wieder das kleine Kästchen geöffnet und den erstaunlichen, fast lebendigen
Faden in die Hand genommen und befühlt. Es fühlte sich

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