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Die Kornmuhme (German Edition)

Die Kornmuhme (German Edition)

Titel: Die Kornmuhme (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H. Schreiber
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der Decke baumelte.
Rauchfleisch und Schinken, Knoblauch, Zwiebeln und getrocknetes Fladenbrot. Auf
den Regalen lagerten ein paar wohlgeformte Käseleiber. Sicherlich, es war nicht
allzu viel. Bestimmt nicht so viel wie Ansgar in seiner Speisekammer hortete,
aber für ein keines hutzeliges Mütterchen und ihre Nichte schon eine
beachtliche Menge. Für Roman musste es unfassbar viel sein, und es musste ihn
jede Menge Überwindung kosten, sich nicht gleich auf die abgehangenen Schinken
zu stürzen.
    Gryla wollte Ida unter all dieser
Pracht schlafen lassen, immer mit den Gedanken an ihre hungernde Familie
zuhause, vielleicht sogar selbst mit knurrendem Magen. Ranja konnte sich
lebhaft vorstellen, wie Gryla Ida quälen würde. Sie schien ihren Spass daran zu
haben, Menschen zu quälen und mit ihnen zu spielen. So, wie sie es mit den
Urmitzern schon seit Jahrhunderten tat – sie enthielt ihnen die Sonne vor,
tötete ihr Vieh und verlangte dann noch Opfertiere von ihnen. Mal lockte sie
einen Betrunkenen in den Wald, tötete dann und wann mal einen Kaufmann. Sie
spielte nur zu gerne dieses sadistische Spiel. Urmitz war ihr Spielbrett und
die Urmitzer ihre Figuren.
    >>Hör zu Ranja<<,
zischte Ida plötzlich kaum hörbar zu ihr herüber. Ich weiß, dass du nicht
sprechen kannst. Ich kann es dir ansehen. Du bist in das verbotene Zimmer
gegangen! <<
    In ihrer Stimme lag abgrundtiefer
Hass und Abscheu. Ranja musste sich erst sortieren, so irritiert war sie von
Idas Worten.
    >>Ich will nicht in diese
Hölle zurückkehren. Ich habe meinen Vater angefleht, aber er weiß sich nicht
anders zu helfen. Meine kleine Schwester liegt im Sterben. Sie wird es nicht
schaffen. Meine Mutter hat keine Milch mehr für sie und sie liegt selber auf
dem Krankenbett. Meine Brüder sind inzwischen auch sehr schwach. <<
    Ida beugte sich vornüber und
schaute Ranja tief in die Augen. Sie wollte sicher gehen, dass Ranja alles
verstand. Ranja nahm alle Kraft zusammen, die sie in sich fand, und blinzelte
zweimal hintereinander mit den Augen.
    >>Gut! <<, sagte Ida
hörbar erleichtert.
    >>In sieben Tagen ist
Sommeranfang. Du weißt was das bedeutet. <<
    Ranja war irritiert. Ja, sie
wusste es. Jeder wusste es. Jedes Jahr, in der Nacht zum Sommeranfang, war es
den Urmitzern verboten, vor die Türe zu gehen. Auch aus dem Fenster durfte
niemand schauen. Die Urmitzer verbarrikadierten ängstlich ihre Fensterläden und
Türen. Es hieß, wenn man in dieser Nacht draußen war - sogar wenn man nur einen
einzigen Blick nach draußen warf - dass dann die Gryla einem die Seele stehlen
würde. Sie schien höchstpersönlich draußen herumzuspuken, um den Sommer zu
verscheuchen, der nun endgültig versuchen würde, in Urmitz einzudringen.
    Ranja zweifelte jedoch an dieser
These, seit einer Sonnwendnacht, in der Reinulf ihr einmal gesagt hatte, dass
etwas anderes dahinter stecken musste, als das, was alle glaubten. Was es
seiner Meinung nach war, hatte er jedoch nie verraten. Ranja erinnerte sich
noch genau an jene Nacht. In den Sonnwendnächten war sie immer wachsam gewesen,
hatte ein Ohr an den Fensterladen gelegt und gelauscht. Tatsächlich pfiff dann
der Wind ungewöhnlich stark um die Häuser, rüttelte an den Dächern und schoss
in die Kamine. Ein unheimlicher, vielstimmiger Chor schien sich in den Wind zu
weben und klagend vom Himmel herabzuhallen, so als wären es Tausende, die dort
oben am Firmament vorüberzogen.
    Sie kamen von weit außerhalb des
Raunewalds. Ranja konnte sie oft in der Ferne schon herannahen hören, wie sie
mit gähnenden Stimmen ihre Lieder heulten. Manchmal glaubte sie, es wäre nur
der Wind selbst, der so heulte. Dann wieder waren ganz klar einzelne Stimmen
erkennbar, und je näher sie kamen, umso heftiger hatte Ranjas Herz geschlagen,
und ein unbändiges Verlangen war in ihr aufgestiegen. Wenn sie die Augen
schloss, um genauer hinzuhorchen, wuchs in ihr der kaum bezwingbare Drang, die
Fensterläden aufzureißen und nach draußen zu sehen - zu sehen was da am
Nachhimmel so gewaltig vorüberzog.
    Und einmal, da hatte Reinulf es
glücklicherweise gesehen, wie sie zusammengekauert mit abwesendem Blick auf
ihrem Bett gesessen, und ein Ohr an das Holz der verschlossenen Fensterläden
gepresst hatte. Er musste ihren Blick gesehen haben, das Verlangen darin, und
ihre Hand, die sie langsam zum Knauf der Lade gehoben hatte, um sie zu öffnen.
Er hatte sie gepackt und ihr mehrmals ins Gesicht geschlagen. Mehr aus Angst
als aus Wut hatte er sie

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